L'Anse aux Meadows (Newfoundland, Canada) (GPS: 51°36.182'N; 055°32.299'W)
Längst abgereiste Besucher verhelfen einer langen Straße zu einem einprägsamen Namen. |
Seit tausend Kilometern wird der Besucher auf das Ereignis eingestimmt: Viking Trail heißt die Straße, die sich entlang der Westküste bis in den äußersten Norden schlängelt. Streckenweise ist sie ganz schön eintönig … aber es wartet ja ein magisches Ziel: eine alte Siedlung der Wikinger. Dort, wo (Ur-)Amerikaner und Europäer zum ersten Mal zusammentrafen. Oder kollidierten? Um das Jahr 1000 u.Z. muss das gewesen sein!
Und was ist mit 1492? In der Schule haben wir doch gelernt, dass Christoph Columbus … Alles Schnee von vorgestern! Inzwischen ist zweifelsfrei erwiesen, dass Leifr Eiriksson und seine Sippe die ersten Europäer waren, die ihren Fuß auf amerikanischen Boden setzten. Fast 500 Jahre vor dem unbedarften Indiensucher!
Bevor wir aber einen Blick auf Leifr und die Überreste seines Dorfs werfen können, heißt es, erst einmal nach Neufundland zu kommen! Über den großen Teich … Werfen wir also einen kurzen Blick zurück!
So schnell lasse ich nicht locker …
Ohne Abschlepper geht bei der Lady Grey nichts mehr. |
Vielleicht erinnert ihr euch: letztes Jahr um diese Zeit hatte ich einen fetten Knüppel zwischen den Beinen: eine defekte Kupplung (genauer gesagt, ein defektes Ausrücklager). Drei Tage vor der Verschiffung nach Südamerika hatte das Malheur all meine Reisepläne durchkreuzt (Details ). Auch die 'Ersatzreise' nach Marokko musste ich vorzeitig, sprich nach zwei Wochen abbrechen (Details ). 2023 war definitiv der Wurm drin! An Abenteuer auf fremden Kontinenten war einfach nicht zu denken!
Für die technisch Interessierten noch ein paar Einzelheiten …
Ein allzu vertrautes Bild: die Lady in der Werkstatt. |
Mit Müh und Not - und schlotternden Knien meinerseits - schafft es die Lady Grey von Südspanien aus zurück in die Werkstatt. Aber auch dort ist man zunächst ratlos - das Schadensbild 'weiche Kupplung' ist einfach zu unklar. Nach sage und schreibe sechs Wochen hat ein Werkstattmeister aber doch einen hellen Moment: er erinnert sich, dass es am alten MAN L2000 () einen Schwachpunkt gab: den Hydraulikschlauch zwischen Geber- und Nehmerzylinder. Der kann mit den Jahren elastisch werden und dadurch den Druck des Kupplungspedals nicht mehr 1:1 an den Nehmerzylinder übertragen: die Kupplung fühlt sich 'weich' an. Was auch zur Folge hat, dass sie nicht mehr vollständig trennt und sich die unsynchronisierten Gänge (erster Gang und Rückwärtsgang) nicht mehr einlegen lassen. Genau das also, was ich so oft beobachtet hatte. Ein neuer Schlauch ist schnell eingebaut … und seither läuft alles paletti. Bis heute! Ein dreifaches Hoch auf die Erfahrung der 'alten Hasen'!
Bis die Reparatur erledigt ist, habe ich Zeit, nicht nur über den Atlantik zu schippern (Details ), sondern auch etwas für mein Seelenheil zu tun: in Wiesent bei Regensburg lädt das weitläufige Gelände des Nepal-Himalaya-Parks dazu ein, originale Pagoden und Bodhisattwas aus Nepal zu bewundern. Auch an seinem Karma kann man arbeiten. Was ich natürlich eifrig tue. Vielleicht hilft es ja auch der Lady Grey!
Im sehenswerten Nepal-Himalaya-Park … |
… von Wiesent bei Regensburg … |
… fühlt man sich direkt … |
…nach Kathmandu versetzt |
Nach erfolgreicher Reparatur und einigen nervigen Behördengängen wird es auch schon höchste Eisenbahn, die neuerliche Verschiffung anzupacken. Zumindest einen zweiten Versuch zu wagen! So schnell lasse ich mich schließlich nicht ins Bockshorn jagen! Diese Mal allerdings soll es nach Nordamerika gehen! Die Menschen und Landschaften im Süden wären mir zwar hundertmal lieber, aber nach den jüngsten Präsidentschaftswahlen herrscht in Argentinien und Chile arges Durcheinander und niemand weiß, wie sich die Lage dort entwickelt. Im Norden (USA!) stehen kaum bessere Zeiten an, aber hier kann ich mich wenigstens verständigen. Hauptsache: Raus aus Europe! Spätestens seit der Pandemie macht das Reisen dort keinen Spaß mehr!
Nach Abfertigung der Lady Grey halte ich nur ein Stück Papier in Händen. |
Sicherheitssiegel an allen Klappen vermitteln ein gutes Gefühl! |
Ende Mai 2024 stehe ich also zum zweiten Mal vorm Schuppen 48 des O'swaldkais am Hamburger Hafen und tausche die Lady Grey gegen ein gelbliches Blatt Papier ein. Die Gasflaschen sind leer, die Benzinkanister auch, die Lebensmittelkiste allerdings quillt über vor Leckerlies und auch sonst ist Einiges an Bord, was eigentlich verboten ist. Doch keinen kümmert's - weder den Sicherheitsinspektor der Reederei noch den Zoll in Canada! [1] Vermutlich hat niemand auch nur einen Blick hinein geworfen. Fakt ist, dass in Halifax an jeder Türe bzw. Klappe eine gut sichtbare Sicherheitsbanderole klebt, die vermutlich schon in Hamburg angebracht wurde. Sie unversehrt vorzufinden beschert zumindest ein gutes Gefühl! Aber auch die genauere Inspektion des Inneren gibt keinen Anlass zu erhöhtem Blutdruck: alles ist vollständig und unversehrt.
Nach Abfertigung der Lady Grey bleibt Zeit für eine gemütliche Hafenrundfahrt. |
Bis ich die Lady Grey wieder in Empfang nehmen kann, heißt es allerdings warten. Warten, warten und nochmals warten. Erst eine gute Woche in Hamburg (man sollte mindestsens eine Woche Puffer einplanen, denn Frachtschiffe sind aus Gewohnheit verspätet), dann eine Woche im Harz (Beine vertreten). Schließlich nochmals fast zwei Wochen in Halifax, wo man zumindest die Waterfront erkunden und den Jetlag auskurieren kann. Obwohl die 'Atlantic Sun' (das Schiff, das meine Lady Grey an Bord hat) schon am Mittwochmorgen im Hafen von Halifax einläuft, müssen wir - an die 30 Leute - bis zum Montag ausharren, bevor wir unsere Fahrzeuge abholen dürfen. Das beschert nicht nur zusätzliche Hotelkosten, sondern auch Gebühren für die 'Aufbewahrung' der Fahrzeuge (26CAD ≈ 17,50Eur pro Tag und Vehikel).
Alles in Allem ist die Überfahrt diesmal kein Schnäppchen - siehe rechts:
Frachtkosten (incl. Treibstoffzuschlag) für 56,3m³: | 5.287 € | |
Nebenkosten Hamburg Hafen: | 655 € | |
Seefrachtversicherung (Versicherungswert 50TEUR): | 300 € | |
Unterkunft (3*) + Verpflegung Hamburg: | 1.265 € + 103 € | |
Unterkunft (2*) + Verpflegung Nordhausen/Frankfurt: | 480 € | |
Bahnticket Hamburg - Harz - Frankfurt: | 135 € | |
Flug Frankfurt - Halifax: | 860 € | |
Unterkunft (3*) + Verpflegung Halifax: | 1.930 € + 280 € | |
Nebenkosten Halifax: | 158 € | |
SUMME: | 11.453 € |
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Halifax
Die Skyline von Halifax wurde um einige Wolkenkratzer 'bereichert' |
Ausgiebig erkundet hatte ich die Stadt ja schon 2014 (Details ) Einige Hochhäuser sind inzwischen dazugekommen und die halbe Stadt ist eine Baustelle, doch die Bewohner sind noch genauso freundlich und hilfsbereit wie damals. Fast jeder hat ein Lächeln auf den Lippen und Zeit für einen kleinen Plausch - sogar mit einem Ausländer!
Wirklich beeindruckt haben mich drei Dinge: das Netz des ÖPNV (heißt hier Halifax Transit), das sich bis weit ins Umland erstreckt (oft auf separaten Busspuren) und in dem jede Fahrt - egal wohin - nur 2,50CAD kostet, umgerechnet 1,70€. Umsteigen inclusive, Rückfahrt auch! Autostaus, gerade in der Rushhour gibt's trotzdem!
Auch saftiges Grün kommt in Halifax nicht zu kurz (hier die 'Public Gardens'). |
Das zweite ist, dass es offenbar keinen Haligonian ohne Trinkgefäß gibt. Egal ob Styroporbecher aus dem Fast-Food-Laden (die gibt es an jeder Straßenecke), oder der eigene Thermosbecher: auf dem Weg ins Büro, beim Shoppen oder Flanieren, sogar beim Autofahren ist er immer dabei (meist in der linken Hand) und gut gefüllt (meist mit Kaffee). Ob das allerdings die Ersatzdroge zur Kippe ist - in Canada ist das Rauchen im öffentlichen Raum ausnahmslos verboten! - konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Hier funktionieren sogar die fundamentalen Dinge wie das Parken der E-Scooter |
Das Dritte, das ins Auge sticht ist die Sauberkeit und Ordnung, die allenthalben herrscht. Abfalleimer an jeder Ecke (was sich außerhalb von Downtown allerdings rapide ändert) sowie ein Heer von 'Straßenpfleger:innen', die durch die Stadt ziehen und noch den letzten Papierschnipsel auflesen. Sogar die E-Scooter, die zu Hunderten herumfahren, werden in Reih und Glied abgestellt, auf dass ja niemand behindert wird. Ich habe den Eindruck, dass hier jeder nicht nur an sich selber denkt wie andernorts (ich will ja keine Namen nennen ), sondern die Gemeinschaft, das Miteinander und die Sicherheit Aller über dem Eigenwohl steht.
Kurz und gut: vom ersten Moment an fühle ich mich wohl in diesem Land (obwohl die Aussicht aus dem Hotelfenster nicht eben erste Sahne und das hiesige Frühstück eine Zumutung für den europäischen Gaumen ist).
Erste Herausforderung: Routenwahl
Die Erinnerungen an die erste Tour sind noch wach |
Zum zweiten Mal in diesem riesigen Land stellt sich natürlich die Frage: "Wo soll's denn diesmal hingehen?" Vor recht genau zehn Jahren hatte ich ja den Süden mit den bekannten Sehenswürdigkeiten abgegrast: Montreal, Toronto, Niagarafälle, die "Great Plains" und weiter westlich die Rocky Mountains (siehe Karte ). Will ich meinem Grundsatz treubleiben, nicht an Orte zurückzukehren, wo es mir besonders gut gefallen hat, muss ich mir eine neue Route suchen! Doch die Alternativen sind am kleinen Finger abzuzählen! Wenig südlich der damaligen Route beginnen die USA, deren dicht besiedelte Oststaaten mich auch diesmal nicht reizen. Der riesige Norden Canadas hingegen ist weitgehend menschenleer, aber allenfalls mit dem Hundeschlitten oder dem Inuit-Kajak zu bereisen (natürlich auch ein prächtiges Abenteuer). Und die wenigen Straßen, die vom Trans-Canada-Highway (TCH) nordwärts abzweigen, verlieren sich allesamt an großen Seen im großen Nirgendwo. Durchgehende Routen von Ost nach West gibt es einfach nicht im Land von Krüppelkiefer, Elch und Permafrost. Warum auch?
Die Routenwahl ist gleich die erste Herausforderung |
Einzige Ausnahme: der 'Trans-Labrador-Highway' (TLH): er führt - wie der Name schon sagt - quer durch Labrador. Anschließend die '113' bzw. '11' durch den Norden von Québec bzw. Ontario. Meine einzigen Alternativen! Außer jeder Menge Landschaft - und hoffentlich dem einen oder anderen Elch oder Schwarzbär - wird es dort allerdings nicht viel zu sehen geben. Aber das ist mir nur recht: nach 'off-the-beaten-track' steht mir aktuell mehr der Sinn als nach Tourigewimmel. Zumal auch hier die Hauptreisezeit gerade beginnt. Also: Ab nach Norden!
Cape Breton Nationalpark
Erste Station ist der Cape Breton Nationalpark im äußersten Norden Nova Scotias und eine seiner Topattraktionen. Obendrein liegt er am Weg zum Hafen von North Sydney, wo die Fähre nach Neufundland ablegt. Beeindruckende Landschaft bietet der Park, unendlich viel Wald, ein paar geologische Besonderheiten und Wanderwege jeglicher Couleur … Dazu wunderschöne - legale! - Nachtplätze inmitten herrlicher Natur. Da muss man einfach hin!
Neufundland
Sogar die Sonnenuhren gehen hier anders … |
Kurz vor Mitternacht stehe ich an der Fähre nach Neufundland. Überpünktlich! Nicht, weil meine DNA ›made in Germany‹ ist, sondern weil die Uhren in Neufundland anders ticken als im übrigen Osten Amerikas: ½ Stunde vor der offiziellen Atlantic Time! Zuspätkommen wäre besonders fatal, hatte ich doch auf Wochen hinaus den letzten freien Platz ergattert, denn Neufundland scheint diesen Sommer mächtig en vogue zu sein. Auf der supermodernen Fähre werden die Camper und Wohnwagengespanne sogar 'übereinander' gestapelt. Nun ja, sie sind auch ein wenig größer und länger als wir das aus Europa kennen!
Auch im J.T.Cheeseman Provincial Park gibt es supernette Stellplätze. |
Völlig übernächtigt suche ich mir nach dem Hafen in Port aux Basques (an der Südwestspitze Neufundlands gelegen) erst mal ein ruhiges Plätzchen. Danach geht's an den Strand des J.T.Cheeseman P.P. [2] Nicht zum Baden (das Wasser hat laue 10 Grad!), sondern zur einer ersten Erkundungstour.
Netter Farbklecks am Wegesrand … |
Die tückischen Gewässer des Sankt Lorenz Stroms voller Buchten, Halbinseln und Untiefen (und im Winter mächtigen Eisbergen) sind seit jeher Schiffen zum Verhängnis geworden. Erinnern wir uns: erst am Ende das mächtigen Stroms liegen Montreal und Quebec, die großen Häfen, über die seit Jahrhunderten der Warenverkehr Canadas abgewickelt wird. Ein wenig 'Schwund' war da keine Seltenheit, zumal die Seekarten des 18. und 19.Jahrhunderts alles andere als verlässlich waren! Die Anzahl der gesunkenen oder gestrandeten Schiffe geht in die Hunderte! Im Maritime Museum in Halifax hängt dazu eine eindrückliche Karte.
Die Bauweise des Holzschiffs ist beeindruckend. |
Nach kurzer Wanderung trifft man auf Überreste eines alten Holzschiffs |
Eines dieser Wracks liegt am südwestlichsten Punkt Neufundlands, es soll aus dem 18.Jahrhundert stammen. Damit demonstriert es nicht nur, wie langlebig Holz als Werkstoff ist, sondern zeigt auch, wie viele Hundert Bäume damals für ein einziges Schiff gefällt werden mussten! Kein Wunder, dass von den vormals reichen Waldbeständen der britischen Inseln (ja des ganzen Nordens Europas) nicht viel geblieben ist!
Gros Morne National Park
Drei weitaus größere Schritte zurück in Sachen Geschichte geht's im Gros Morne National Park. Wird übrigens französisch ausgesprochen, also Gro Morne und heißt frei übersetzt so viel wie Große Glatze. Der Nationalpark ist das Highlight Neufundlands - sieht man von den Iceberg-Watching-Touren im Norden und Osten ab.
Vor 500 Millionen Jahren: aus Pangäa entstehen die ersten Kontinente … |
Wie große Puzzlesteine lagen die Kontinente vor Jahrmillionen beisammen. |
Vor allem Geologen treten Freudentränen in die Augen, wenn sie von Gros Morne hören. Wurden hier doch die letzten Puzzlesteine gefunden, um die lange Zeit strittige Theorie der Kontinentaldrift bzw. Plattentektonik zu beweisen. Sie besagt, dass die Kontinente sich frei, aber äußerst langsam auf der Erdoberfläche bewegen. Phänomene wie Erdbeben, bestimmte vulkanische Aktivitäten, die Form der Kontinente sowie die weltweite Verbreitung bestimmter Mineralien wurden erst durch diese Theorie Alfred Wegeners erklärbar. Manche behaupten gar: "Was Galapagos für die Biologie bedeutet, ist Gros Morne für die Geologie!"
Unikat der Erdgeschichte: hinter dem Infozentrum beginnen die 'Tablelands'. |
Obendrein gibt's in den Tablelands im Süden des Parks ein ultra-seltenes Gesteins zu bestaunen, das vor 460 Millionen Jahren durch tektonische Bewegungen aus dem Erdmantel in über zehn Kilometern Tiefe an die Oberfläche 'gespült wurde' und dabei die eigentliche Deckschicht unserer Erde (die Erdkruste) durchstieß. An keinem anderen Ort der Erde soll es so etwas geben! Heute ist das Gebirge wie die übrigen des kanadischen Schilds von Gletschern plangeschliffen (daher Tablelands), doch die Zusammensetzung des extrem harten Gesteins (Peridodit; enthält kaum Mineralien) erlaubt null Vegetation. So heben sich die braun-kahlen Klötze wie Mondberge von den umgebenden, sattgrünen Höhenzügen ab! Beeindruckend!
Namensgeber des Nationalparks: der Gros Morne Mountain (links) |
Der eigentliche Namensgeber des Parks, der 806 Meter hohe Gros More Mountain hingegen liegt zwei Autostunden weiter nördlich und ist ein 'ganz normaler Berg' aus betagtem Sandstein, der vor ein paar Millionen Jahren noch den Meeresboden des Atlantischen Ozeans zierte. Trotz 'Vegetationsfreundlichkeit' trägt der Berg seinen Namen 'große Glatze' nicht zu Unrecht, denn hier verhindern vor allem starke Winde und eine wenig gegliederte Oberfläche nennenswerten Pflanzenwuchs. Auch der Gros Morne Mountain steht wie ein Fremdkörper inmitten des üppigen Grüns der Umgebung.
Wasserfälle zeugen davon, dass es in Neufundland 'gelegentlich' regnet … |
Geübte und fitte Wanderer können seinen Gipfel auch erklimmen, allerdings erst ab Ende Juni, denn bis dahin herrscht Schonzeit für die tierischen Bewohner (u.a. Fuchs, arktischer Hase, Ptarmigan (Vogelart), Caribou). Die Tour ist allerdings kein Spaziergang: 1000 Meter Höhenunterschied sind zu bewältigen - auf 17 Kilometern Wegstrecke. Das Ganze an einem Tag - Übernachten am Berg ist nämlich verboten! Dafür sollen die Ausblicke von oben erste Sahne sein. Sofern das Wetter mitspielt! Denn eines ist auf Neufundland so sicher wie das Amen in der Kirche: "Der nächste Regen kommt bestimmt!" Nicht zuletzt zahlreiche Wasserfälle, flache tannin-braune Seen (Pond genannt) neben und Sumpfwiesen (Bogs) auf jedem noch so komfortablen Wanderweg sind der Beweis!
Die Attraktivität des Nationalparks beruht aber nicht nur auf den Besonderheiten seiner Geologie. Die Gegend ist einfach ein Augenschmaus! Hinter jeder Kurve offenbart sich ein neues Schmankerl und zum ersten Mal auf dieser Tour muss die Kamera Überstunden schieben! Hier ein paar Kostproben:
Geologische Zeitskala, auf einen Tag umgerechnet … |
Fünfzig Kilometer nördlich des Gros Morne Mountains wartet bereits die nächste Attraktion. Wieder auf Geologen. Dass sich Gesteinsschichten durch die Bewegungen der Erdkruste zu senkrecht stehenden Kliffs auftürmen können, wissen wir ja schon. Doch derart imposant wie am Green Point, einem kleinen Kap an der Westseite des Nationalparks, findet man es selten. Sedimentgestein, das sich durch Ablagerungen von Schlamm und tierischen wie pflanzlichen Überresten am Boden von Gewässern - und damit annähernd in der Waagerechten - bildet, ist hier zu einem wahren Bilderbuch der Geschichte aufgeschoben worden. Die Geologen brauchen nur noch darin zu blättern. Finden vor ihrer Nase prompt eine der wichtigen Zeitengrenzen der Erdgeschichte. Der Ozean, in dem sich diese Schichten zwischen Kambrium (540Ma bis 485Ma) und Ordovizium (485Ma bis 443Ma) [3] bildeten, war der sogenannte Iapetus Ocean, der sich innerhalb des Urkontinents Pangäa zwischen Nordamerika und Europa aufgetan hatte, jedoch nur vorübergehend. Erst viel später entstand an gleicher Stelle der heutige Atlantik.
Für mich als geologischen Laien ist das im Grund genommen nur ein Haufen eindrucksvoller Steine. Olle Kamellen, wenn ihr so wollt. Dennoch bin ich immer wieder erstaunt, wie viel die Wissenschaft inzwischen über diese längst vergangenen Tage … ääähm … Jahrmillionen in Erfahrung bringen konnte. Allein anhand von ein paar Felsbrocken wie denen am Green Point. Hut ab!
Nichtsdestoweniger ist die Geschichte unserer Erde ein überaus spannendes Thema, vor allem die Zeiträume, über die wir dabei sprechen: 4,6 Milliarden Jahre! Auch das Leben auf diesem Planeten soll beinahe so alt sein (3,9Ma)! [4] Demgegenüber nimmt sich die Zeitspanne, die der (selbsternannte) Homo Sapiens auf dieser Erde wandelt wie ein Wimpernschlag aus: drei, vier Sekunden, wenn man die gesamte Erdgeschichte auf einen 24-Stunden-Tag umrechnet (erst seit 0,2 Sekunden betreibt er Ackerbau). Erstaunlich, wie viel man in dieser Zeit zerstören kann! Aber sorry, ich bin abgeschweift . Zurück in den Gros Morne Nationalpark!
Im Prospekt sieht der Western Brook Pond besonders eindrucksvoll aus! |
Dort steht das touristische Highlight nämlich noch aus: der Western Brook Pond. Ein Fjord, der gar keiner ist und der nur mit einem Boot besichtigt werden kann. [5] Eigentlich kann man ihn gar nicht verfehlen: auf dem riesigen Parkplatz davor drängen sich Wohnmobile, Camper und normale PKW aus aller Herren Länder. Sogar ein Kennzeichen aus Florida kann ich entdecken. "Das ist mir viel zu touristisch, viel zu überlaufen!" denke ich im ersten Moment … und fahre angewidert weiter. Abends am Campfire besinne ich mich aber doch und buche für den kommenden Tag eine zweistündige Bootstour (90CAD = 62€).
Zur Beruhigung der Nerven hilft nicht zuletzt ein langer Spaziergang. Innerhalb des Nationalparks bieten sich dazu jede Menge Möglichkeiten … ganz anders als draußen: dort führt jeder noch so kleine Weg zu irgendeinem Haus - aber nicht weiter …
Auf einem herrlichen Wanderweg … |
Pinienzapfen am Weg zum Pond. |
Freundliche Farbkleckse |
Die Natur ist herrlich bunt …. |
Am nächsten Tag springe ich tatsächlich über meinen Schatten und reihe mich in die Schlange ein, um meinem Boarding Pass für das kleine Schiffchen abzuholen, das uns über den Pond bringen soll.
Vor dem großen Staunen ist das große Warten angesagt! |
Der Pond (Newfie-Ausdruck für 'Tümpel' oder 'See') ist im Grunde nichts anderes als ein formidabler Fjord, den die Gletscher der diversen Eiszeiten in die Gebirgskette der Long Range Mountains gefräst haben. Die sind natürlich 'uralt' (wie könnte es hier anders sein) und bilden die Fortsetzung der Appalachen, die sich im Osten Nordamerikas bis hinunter nach Georgia ziehen. Als sich die Gletscher zurückzogen, blieb ein typisches Trogtal zurück, wie wir es auch aus Europa kennen, nur ein wenig tiefer (640m) und steiler (da das Gestein sehr hart ist). Im Unterschied zu einem 'richtigen' Fjord hat der Pond jedoch keine direkte Verbindung zum Meer. Sonst würde man hier vermutlich ähnlich vielen Kreuzfahrtschiffen begegnen wie im Hardangerfjord. [6] Denn landschaftlich steht der Pond dem norwegischen Pendant kein Jota nach - und tief genug für Ozeanriesen wäre er auch. So aber müssen wir uns mit dem kleinen Schiffchen Vorlieb nehmen, auf dem arges Sardinen-Feeling herrscht! Welch ein Unterschied zu der großen Leere, die sonst im meistbesuchten Nationalpark Neufundlands herrscht!
Das Panorama am Eingang zum Western Brook Pond ist beeindruckend |
Die Rundfahrt entlang der steil aufragenden Felswände, vorbei an einem Dutzend Wasserfällen ist schon ein Erlebnis. 'Einmalig' wäre vielleicht etwas übertrieben, aber schön ist's trotzdem! Trotzdem frage ich mich, warum man die Tour nicht auf Elektrobooten anbieten kann. So ähnlich wie auf dem Königssee! Dem größten Nationalpark Neufundlands stünde das gut zu Gesicht! Stattdessen tuckert im Bauch des nagelneuen Boots ein alter Diesel (ohne AdBlue) und neben dem Abfertigungsgebäude brummt tagein, tagaus ein lärmiger Generator, obwohl die Stromleitung nur 2km entfernt ist! Auch die Golfcarts (s.u.) fahren mit knatternden Verbrennern, obwohl sie inzwischen auf jedem Golfplatz verboten sind. Echt eine Zumutung! In einem deutschen Nationalpark wäre 'so etwas' jedenfalls nicht mehr denkbar! [7]
Unterm Strich war es aber doch eine nette Abwechslung zu der Fahrerei auf der Straße!
Die Natur ist herrlich bunt …. |
Eine kurze Anekdote möchte ich noch anfügen, die ein Licht darauf wirft, wie man hierzulande mit seinen Mitmenschen umgeht. Die Bootstour über den Western Brook Pond möchte nämlich auch eine schwerkranke Frau mitmachen. Der Hautfarbe nach eine Inderin, möglicherweise mit MS. Das Gehen ist ihr kaum möglich. Die drei Kilometer vom Parkeingang zum Bootsanleger wird sie also mit einem Golfwägelchen chauffiert, das in jedem Park für Menschen mit Gehbehinderung bereitsteht (schon das ist beachtenswert). Den zweihundert Meter langen Bootssteg aber muss sie aus eigener Kraft bzw. mithilfe Ihres Begleiters und eines Mitarbeiters der Bootsfirma zurücklegen. Das dauert natürlich. Mühsam setzt sie einen Fuß vor den anderen, während die übrigen Gäste - längst eingestiegen - der Abfahrt entgegenfiebern. Doch diese Frau will ja noch an Bord. Und quält sich so gut es geht den Bootssteg entlang. Aber unter den Gästen ist kein Murren zu bemerken, kein Raunen, nichts. Nur interessierte, ja mitfühlende Blicke. Als sie schließlich an Bord ist, wird sogar lautstark applaudiert … Ihr, ihrem Begleiter und dem jungen Mann der Bootsfirma, der sie so fürsorglich an Bord geleitet hatte. Dass wir wegen ihr eine Viertelstunde Verspätung haben, interessiert niemanden! [8]
L'Anse aux Meadows
Kein einladender Ort, um sich niederzulassen. Den Wikingern aber war's recht. |
Tja, und dann ist es endlich soweit: nach tausend Kilometern Anreise steht man vor der UNESCO-Welterbestätte … vor der bedeutendsten National Historic Site Canadas … und sieht … nur eine grüne Wiese! Eine grüne Wiese, an einer schlammigen Bucht gelegen, das Umland karg und wenig einladend. Definitiv kein Ort, an dem man seinen Urlaub verbringen möchte! Aber die Wikinger waren ja harte Burschen … Beim zweiten oder dritten Hinsehen entdeckt man auf der Wiese zwanzig, dreißig Zentimeter hohe Wälle unter dem Gras, die auffallend geradlinig verlaufen und mit ein bisschen Fantasie die Grundrisse mehrerer Häuser ergeben. Großer Häuser sogar, wahrer Hallen! Zwanzig bzw. fünfundzwanzig Meter messen die beiden größeren Strukturen, jeweils unterteilt mit Zwischenwänden. Sechs bis acht Meter die etwas kleineren. Türen bzw. Öffnungen nach draußen sind klar erkennbar. Hier muss jemand gewohnt oder gearbeitet haben - vor langer Zeit!
Man muss schon zweimal hinsehen, um die Überreste zu erkennen. |
Es sieht aus, als ob jemand die Grundrisse mit Ziegelsteinen ausgelegt und dann Erde darübergekippt hätte. Was gar nicht so weit hergeholt ist, denn was wir heute sehen, sind die wieder hergerichteten Überreste der archäologischen Grabungen. Ursprünglich waren die Gebäude aus Holz und Grassoden errichtet, kein Material, das in diesem Klima die Jahrhunderte überdauert! Schlimmer noch: die Wikinger hatten bei ihrer Abreise alles niedergebrannt. Kein Wunder, dass nur noch kaum erkennbare Erhebungen in der Grasnarbe geblieben waren. Was die Archäologen daraus zutage förderten ist wirklich erstaunlich!
Die jahrhundertelang mündlich überlieferten Sagas der Wikinger |
Blick zurück: wir schreiben das Jahr 1960. Zwei norwegische Historiker - Anne und Helge Ingstad - machen ihre Hausaufgaben und durchforsten die alten Sagas der Wikinger. Die mythischen Geschichten von Göttern, Trollen, Herrschern und Kobolden waren jahrhundertelang nur mündlich überliefert und erst im 12.Jahrhundert schriftlich festgehalten worden. Viel Spielraum also für Interpretation und Fantasie. Doch die beiden werden tatsächlich fündig und entdecken offenbar sehr konkrete Hinweise auf Leifr Eiriksson und seine Sippe sowie auf ihre Reisen weit über Island und Grönland hinaus. Vom Vinland ist da die Rede (vermutlich New Brunswick, wo tatsächlich Wein angebaut wird) und von einem Markland (vermutlich Labrador).
Man muss schon zweimal hinsehen, um die Grundrisse zu erkennen. |
Anhand der Texte können die beiden die äußerste Nordspitze Neufundlands als möglichen Siedlungsplatz ausmachen (Der Seeweg dorthin ist wirklich markant!). Dort stehen auch heute noch ein paar Hütten: L'Anse aux Meadows. Kaum angekommen, führt ein Fischer die beiden schnurstracks zu der grünen Wiese mit den eigenartigen Erhebungen (er hielt sie für indianische Gräber). Anne und Helge stehen vor dem Fund ihres Lebens! Noch im gleichen Sommer weisen sie anhand von Schmucksteinen nach, dass es Wikinger aus Island waren, die hier gelebt - und Häuser errichtet hatten. Erste Untersuchungen beziffern den Zeitraum auf 'zirka 1000 u.Z.', also genau die Zeit, in der Leifr Eiriksson und seine Sippe auf Reisen waren. Spätere Analysen können das Jahr 1021 als Datum festmachen, an dem einer der aufgefundenen Bäume gefällt worden war. Ein Hoch auf die moderne Wissenschaft!
Leifr Eiriksson, der eigentliche Entdecker Amerikas! |
Natürlich drängt sich die Frage auf, wie das Zusammentreffen der Wikinger mit den Ureinwohnern ablief. Na ja, Details sind nicht bekannt, aber in den isländischen Sagas wird berichtet, dass das Zusammenleben mit den Skaelingern - den amerikanischen Ureinwohnern, möglicherweise Beotuk oder Mi'kmaq - nicht immer friedlich war. Im Gegensatz zu Columbus hatte Leifr Eiriksson aber keine gut ausgerüstete Schlägertruppe mitgebracht und mit seinen zwei Dutzend Männern (und ein paar Frauen) war er zahlenmäßig weit unterlegen … und vielleicht weise genug, es nicht auf eine Prügelei ankommen zu lassen. Trotzdem war L'Anse aux Meadows an die dreißig Jahre lang besiedelt - wenn auch nicht durchgehend. [9]
Ob die Wikinger-Damen damals auch so scheu waren? |
All das kann man im Besucherzentrum auf zahlreichen Schautafeln nachlesen. Ein Schaukasten zeigt zudem ein Modell der Anlage sowie einige der gefundenen Schmucksteine und originalen Artefakte. Einen weitaus lebendigeren Einblick in das Leben von damals geben allerdings die beiden 'Beute-Wikinger', die in dem Replikat eines Grassodenhauses allerlei - historische oder nachempfundene - Gerätschaften erklären und daran arbeiten. Ein solches 'lebendiges Museum', wie man es in Canada häufig findet, ist doch viel interessanter.
Im Museumsdorf Norstaed kann man sich noch vieles über die Wikinger erzählen lassen. |
Das dachten sich wohl auch ein paar Geschäftsleute und richteten zwei Kilometer entfernt, in Norstaed ihr eigenes Museumsdorf ein, in dem ein Dutzend Angestellte in Wikingertracht dem Besucher auswendig gelernte Texte aufsagt. Das einzig Interessante dort ist der naturgetreue Nachbau der Snorri, einer alten Knorr, mit der die Wikinger ihre ausgedehnten Handelsreisen unternommen haben.
Die Wikinger haben nicht nur England überfallen! |
Richtig gelesen: die Wikinger haben damals nicht nur England um seine Schätze erleichtert (was von den Briten literarisch ausgiebig breitgetreten wurde), sondern waren um die Jahrtausendwende die bedeutendste Handelsmacht Europas! Im Herzen Europas herrschte ja noch finsterstes Mittelalter! Bis ins Mittelmeer und nach Byzanz führten ihre Handelswege - übrigens nicht nur auf See! Korrekterweise müsste man sie auch als Nordmänner bzw. Normannen bezeichnen, denn Viking durften sich nur ihre Piraten und Kämpfer nennen.
Bleibt am Ende, den Ortsnamen zu klären. Viele Gerüchte ranken sich darum, nur eines steht fest: die Wikinger/Nordmänner waren's nicht. Sonst hieße der Ort heute Eirikssonjöður oder Leifrstaðir. Wahrscheinlicher ist, dass er ursprüngliche Anse à la Mèdèe hieß, nach der griechischen Göttin Medea. Im 18. und 19.Jahrhundert (als die Franzosen hierherkamen) wurden viele Schiffe nach ihr benannt … und nach den Schiffen wiederum die Siedlungen. Als die Engländer später das Sagen bekamen, wurde daraus L'Anse aux Meadows.
Wie auch immer: es ist ein höchst geschichtsträchtiger Ort! Schade nur, dass von damals keine näheren Informationen überliefert sind: das Zusammentreffen mit einer Neuen Welt war sicher ein einschneidendes Ereignis - für die Wikinger genauso wie für die Ureinwohner. Und wer weiß: hätten sich damals mehr Nordmänner und -frauen in Amerika angesiedelt … wäre Island zur Weltmacht geworden (dort war die Demokratie ja schon 'erfunden' worden - siehe hier! ) … hätte sich ein friedliches Zusammenleben mit den Ureinwohnern entwickelt … die Welt sähe heute ganz anders aus … ohne alte weiße Männer … ohne blutige Gemetzel … ohne Millionen Toter unter den Indigenen … Sorry: ich bin schon wieder abgeschweift!
Eisberge kenne ich schon aus Island |
Zu erwähnen bliebe noch der Osten des riesigen Neufundlands. Der ist sicher auch eine Reise wert - aber nicht dieses Jahr! Außer einigen hundert weiteren Buchten und Meeresarmen … und vielleicht dem einen oder anderen Eisberg (im Juli ist es dafür aber schon recht spät!) gibt es dort nicht viel zu sehen. Verbunden wäre es jedoch mit zwei- bis dreitausend Kilometern Fahrerei (hin- und zurück) - oder mit einer zweiten Fähre zurück nach Nova Scotia (womit ich wieder auf der 'Südroute' gelandet wäre). Beides möchte ich meinem Geldbeutel gerne ersparen!
Folglich werde ich in den nächsten Tagen zurück nach St.Barbe an der Westküste rollen, um die Fähre nach Labrador zu erwischen. Dort herrscht dann ja auch wieder die 'richtige' Zeit (Atlantic Time). Lasst euch überraschen, wie es dort aussieht …