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Fahrtroute Canada 2024 Karte Canada

Das Land des vielen Grüns … und der wenigen Fotos

CAN NFL Labrador


Button Links geht's zurück nach Neufundland (Sommer 2024) …


Jul 19 2024

Icon Icon Tadoussac (Québec, Canada) (GPS: 48°11,046'N; 069°41,774'W)


Auch auf Stein macht sich die Flagge Labradors gut.

"Turn right at the traffic-light, then proceed on highway #138!" tönt die sonore Stimme aus dem Navi. Kaum springt die Ampel auf Grün, finde ich mich im alltäglichen Wahnsinn der canadischen Highways wieder. Hunderte von Autos vor mir, tausende hinter mir, Dutzende Verkehrsschilder und mindestens genauso viele Ampeln! Mit einem Schlag bin ich zurück in der sogenannten 'Zivilisation'. Bis ich mich hier wieder zurechtfinde, wird es wohl einige Tage dauern!

Baie-Comeau heißt das Städtchen mit der magischen Ampel, an der die #389 und die #138 aufeinandertreffen wie Wege aus unterschiedlichen Welten. Baie-Comeau liegt zwar schon in Québec, aber direkt am St.Lorenz-Strom und ist Dreh- und Angelpunkt von Allem, was in den Norden will oder von dort kommt - einschließlich Labrador. Also auch für mich. Vier Wochen war ich dort oben unterwegs gewesen, so weit oben, dass es nicht weiter ging. Hatte Wälder gesehen bis mir grün vor Augen wurde, hatte mich über Seen und Ponds gefreut, hatte Wasserfälle bestaunt - oder vielmehr die Überreste davon - und mich dabei von einem Outpost zum nächsten gehangelt.


Ein großes Land ist Labrador in der Tat.

Um ein Haar hätte ich die 2500 Kilometer bis Nova Scotia auch wieder zurückfahren müssen, doch der Wind stand günstig und ich konnte gerade noch so durchschlüpfen! Mehr dazu weiter unten. Und ja, Labrador ist wirklich ein big Country, ganz wie die Will­kom­mens­tafel bei Blanc Sablon verspricht. Dabei habe ich nur einen winzigen Bruchteil dieses riesigen Landes gesehen. Nicht mal ein Prozent, würde ich schätzen! Dabei ist Labrador (zusammen mit Neufundland) flächenmäßig die kleinste der canadischen Flächenprovinzen (siehe Karte )


Volltanken ist in jedem Fall angesagt!

Nur zur Orientierung: Labrador selbst ist fast genauso abgeschnitten von der Welt wie die meisten ihrer Städte und Dörfer von ihren Nachbarn. Nur ganz im Osten führt eine Fähre nach Neufundland - und weiter in die 'Zivilisation' nach Nova Scotia. Ganz im Westen wiederum führt eine unbefestigte Piste (schon auf Québec-Gebiet) nach Baie-Comeau. Das war's auch schon. Will man anderweitig nach Labrador kommen, muss man den Flieger, das Schiff oder die Eisenbahn bemühen! Auch innerhalb der Provinz wird meist geflogen oder in den Küstenorten auf das Schiff vertraut, das zwischen Juli und September - aber nur dann (wegen des Packeises) - die kleinen Häfen anläuft. Es ist also ein Land mit wirklich viel Platz! Gerade deshalb hatte ich es mir ausgesucht!

 

South Labrador Coastal Drive


Nur langsam schält sich die Fähre aus dem Nebel.

Zurück also nach St.Barbe bzw. Blanc Sablon, wo die Fähre zwischen Neufundland und Québec (bzw. Labrador, die Grenze liegt nur drei Kilometer vom Fähranleger entfernt) verkehrt. Dank staatlicher Unterstützung ist die Überfahrt spottbillig (21€ mitsamt Lady Grey) und vermutlich deshalb gut frequentiert. Von der Überfahrt selbst bekommt der Passagier allerdings wenig mit - dichtem Nebel sei Dank. Keine Seltenheit hier am kalten St.Lorenz-Strom, von dem ein lokales Sprichwort sagt: "Von zehn Tagen herrscht neun Tage Nebel - und am zehnten Sturm!" Tatsächlich lichtet sich der Küstennebel oft erst gegen Mittag für zwei, drei Stunden. Dann scheint auch schon mal die Sonne.


Trotz Nebel gibt's idyllische Stellplätze - auch hier.

Ebenso zahlreich wie die Nebeltröpfchen scheinen allerdings die Moskitos zu sein. Wahre Monster! Oder die Blackflies. Oder die No-See-Umms, winzige, kaum erkennbare Fliegen, die fast noch mehr nerven als die Moskitos. Ein nicht wirklich einladendes Gebräu, auf dem Camp im Pinware River P.P. ist es besonders schlimm! Weiter im Landes­inneren lässt die Plage etwas nach, aber ganz ungeschoren kommt man auch dort nicht davon!

Viel Aufregendes hat der South Labrador Coastal Drive - besser bekannt als #510 - erst mal nicht zu bieten, lediglich ein halbes Dutzend kleiner (Fischer-)Dörfer an immer neuen Buchten, die einen überraschend modernen und gepflegten Eindruck machen - sogar nagelneue Häuser kann ich entdecken. An jedem Haus stehen ein, zwei Boote bereit, trotzdem haben die Bewohner mit Fischerei nicht mehr viel am Hut - allenfalls in der Freizeit. Stattdessen arbeiten sie in den großen Minen des Nordens und kommen nur alle paar Wochen nach Hause. Als ich später die dortigen Unterkünfte sehe, kann ich die Pendler gut verstehen - auch wenn der Weg zur Arbeit schon mal 1200 Kilometer misst! Aber auch jede Menge 'Urlauber' verschlägt es an die raue und neblige Ostküste Labradors - allenthalben wird AirBnB angeboten.


Das älteste Grab eines Nordamerikaners …

Wollt ihr Näheres über das älteste Grab wissen?

Vor sieben- bis neuntausend Jahren (je nachdem, welcher Quelle man glaubt) muss das ganz ähnlich gewesen sein. Ob es allerdings Arbeiter oder Urlauber waren, die es hierher verschlagen hat, ist noch nicht abschließend geklärt! emoticon Fakt ist, dass nahe des Dorfs L'Anse Amour - bestehend aus fünf Häusern - das Grab eines jungen Mannes entdeckt wurde, das der Maritime Archaic Culture zugerechnet wird und als das älteste Grab eines Nordamerikaners gilt! Verglichen mit den zahlreichen Monumenten, die an die ersten Europäer[1] an diesen Gestaden erinnern, macht es allerdings einen höchst jämmerlichen Eindruck: ein unscheinbarer Erdhügel mit ein paar Steinen, der trotz Hinweistafeln kaum zu erkennen ist! Dennoch zollt man den Indigenen hier wenigstens ein klein wenig Respekt: die historischen Hintergründe werden gleich in vier Sprachen erklärt! [2]


Der höchste Leuchtturm bei L'Anse Amour.

Auch mit einem Leuchtturm kann das Fünf-Häuser-Dorf aufwarten, sogar dem zweithöchsten Canadas. Stattliche 33 Meter misst er! Dass er seine Berechtigung hatte zeigt der Schiffsfriedhof gleich nebenan: da liegt auf vielleicht fünf Kilometern Strand ein Dutzend Schiffs­wracks; sogar solche aus unseren Tagen, wie die 'HMS Lily' oder die 'HMS Raleigh', ein Flaggschiff der Royal Navy, das 1922 hier strandete.

Nach dem Pinware River, einem ausgezeichneten Revier für Lachse geht es noch einmal hügelauf, hügelab zur Bucht von Red Bay, einer 'historisch bedeutenden' Niederlassung von baskischen Walfängern, die sogar UNESCO-Welterbe-Status erlangte:

"Im Europa des 16.Jahrhunderts war Tran (Walöl) ein kostbares und profitables Produkt. Millionen Liter Lampenöl wurden benötigt, darüber hinaus fanden die Barten der Wale Verwendung, z.B. für Korsetts. Bereits um 1540 hatten baskische Fischer die Ergiebigkeit der Straight of Bell Isle entdeckt. Vor allem die nördlichen Glatt- und Grönlandwale wurden dort gejagt und auch gleich in den Stützpunkten an Land verarbeitet. In Spitzenzeiten kamen jährlich 2.500 Walfänger in 50 Schiffen für etwa 8 Monate nach Labrador und produzierten schätzungsweise 2,4 Millionen Liter Tran. "
[aus Reise-Know-How 'Kanada - der maritime Osten', S.412]

So oder ähnlich sehen die meisten Dörfer an Labradors Ostküste aus.

Klingt ja ganz interessant, doch die Überfahrt nach Saddle Island, wo die eigentlichen (originalen) Relikte der Basken zu bewundern wären, ist unverhältnismäßig kostspielig. Deshalb begnüge ich mich mit einem Blick in den Reiseführer und rolle gemächlich die #510 weiter, die nun endgültig ins Landesinnere schwenkt. Mit jedem Meter, den sie sich von der Küste entfernt, entfernt sie sich auch von der Zivilisation. Das Landesinnere ist menschenleer - selbst für canadische Verhältnisse (wo man gerne etwas 'verstreut' wohnt emoticon)! Das fängt gleich hundert Meter hinter dem letzten Haus an! Mit einem Schlag bin ich allein … allein mit der Straße, allein mit der Lady Grey, allein mit mir selbst! Das Navi zeigt die Entfernung zur nächsten Kreuzung: 630 Kilometer!


Kurvenreich schlängelt sich die Straße zwischen unzähligen Seen hindurch.

Zunächst drücke ich noch aufs Tempo, die Entfernung scheint übermäßig groß; das will ich so schnell wie möglich hinter mich bringen! Doch nach zwei, drei Stunden ohne ein einziges Auto kehrt innere Ruhe ein, die Tachonadel steht bei 65km/h, gemütlich rolle ich durch eine unerwartet abwechslungs­reiche Landschaft, staune über die großen und kleinen Seen - entweder direkt neben der Straße oder zwischen den Bäumen hindurchschimmernd - und frage mich, wo es wohl mehr von ihnen gibt: in Finnland oder hier? Vermutlich hat aber doch Labrador die Nase vorn!


Bog (Sumpf, Nasswiese) neben der Straße.

Trotz manch langer, schnurgerader Passage wird es nie langweilig. Dinge links und rechts der Straße kann ich etwas genauer in Augenschein nehmen als das anderswo möglich wäre - auf plötzlichen Verkehr muss ich nicht achten - die Straße ist auf Kilometer hinweg zu übersehen. Für Belustigung sorgt zudem das Navi, das vor immer neuen Gefahren warnt: "Caution! Sharp curve ahead!" quäkt es … und dann macht die Straße doch nur eine winzige Biegung, die nicht einmal die Bezeichnung 'Kurve' verdient! Die Straße selber ist breit, seit kurzem durchgehend geteert und über weite Strecken prima zu fahren. Erst kurz vor der ominösen Kreuzung wird sie etwas wellig und zwingt auch mal zum Runterschalten. Bei Regen allerdings ist Vorsicht geboten, denn die Spurrinnen sind tief und bevor man sich versieht, ist man aufgeschwommen. Also lieber eine halbe Spur versetzt fahren!

Nach drei absolut ruhigen Nächten mitten im Nirgendwo [3] - zweimal sogar ohne Moskitos - kommt die erste 'Stadt' in Sicht: Happy Valley - Goose Bay.

"Happy Valley - Goose Bay auf 53° nördlicher Breite (das ist die Breite von Bremen!) ist Luftwaffenstützpunkt und Verwaltungs- und Versorgungszentrum für ganz Labrador. Hier treffen alle wesentlichen Land-, Luft-, und Schiffsverbindungen Labradors zusammen. Zu den 8.000 Einwohnern kommen noch Militärs der Air Base hinzu, deren Landebahn mit 3.367 Metern eine der längsten Nordamerikas ist und sich für die größten Transportmaschinen in voll beladenem Zustand (z.B. für internationale Einsätze) eignet. Auch Bundeswehrpiloten trainieren hier."
[aus Reise-Know-How 'Kanada - der maritime Osten', S.417]

Eine solide Brücke führt über den Churchill River.

Warum die Stadt diesen ulkigen Namen trägt, kann ich nicht in Erfahrung bringen. Besonders happy allerdings erscheint mir niemand, denn die Stadt platzt aus allen Nähten. Warum, das erfahre ich an der Tankstelle: Labrador City, mein nächstes Ziel und weitere 530 menschenleere Kilometer entfernt ist von einem Bushfire bedroht und wurde deshalb evakuiert. Nun sind die Bewohner allesamt zu Gast in Happy Valley! Hotels, Motels, Camps: alles ist restlos ausgebucht. Doch man scheint Übung in solchen Dingen zu haben: riesige Zelte sind aufgestellt, große Versammlungshallen wurden zu Schlafsälen umfunktioniert, allenthalben stehen Einheimische bereit, den Gestrandeten zu helfen. Von Chaos - soweit ich das beurteilen kann - keine Spur!

 

Trans Labrador Highway


Zebrastreifen so farbenfroh wie die ganze Community!

Für mich allerdings stellt sich die Frage, wie es weitergeht! Die Straße - die einzige! - nach Labrador City und weiter nach Baie-Comeau, sprich zurück in die Zivilisation kann jeden Moment dem Feuer zum Opfer fallen - je nachdem, wie schnell es sich ausbreitet und woher der Wind weht! Würde die Straße tatsächlich gesperrt werden, hieße das für mich: umkehren! Zurück nach Neufundland, zurück nach Nova Scotia, genau die gleiche Strecke, die ich hergekommen bin! 2.500 lange Kilometer! Alternativen gibt es nicht!


Auch bei den Muskrat Falls ist der Fluss aufgestaut.

"Nein! Nicht mit mir!" denke ich im Stillen und wäge schon die Alternativen ab: zwei bis drei Wochen in sicherer Entfernung campieren und das Feuer aussitzen! Irgendwann muss die Straße ja wieder freigegeben werden! Alles, alles wäre besser als 2.500 Kilometer auf altbekannter Route zurückzufahren! Drei Tage habe ich Zeit, darüber nachzudenken - derweil rolle ich weiter nach Westen. Ziel: Labrador City!

Verglichen mit dem South Labrador Coastal Drive ist der eigentliche Trans Labrador Highway, die #500, eine vielbefahrene Schnellstraße! Verbindet sie doch das Verwaltungs- und Logistikzentrum von Happy Valley mit den Erzminen rund um Labrador City sowie mit Churchill Falls, dem mächtigen Kraftwerk, das den ganzen Norden (und weite Teile des Südens) mit Strom versorgt!


Weit verstreut stehen die Häuser entlang des Highway #500

Beide Städte existieren erst seit den 1960-er Jahren und ohne Erz bzw. Wasser sähe es dort aus wie im übrigen Norden: Wald und Tundra bis zum Abwinken! Den Highway gäbe es dann natürlich auch nicht! Seither ist auch die Region zwischen den Städten dicht besiedelt: alle fünfzig, sechzig Kilometer kann ich eines der schmucken Häuser entdecken - stets weitab der Straße gelegen und nur über schmale, allenfalls ATV-taugliche Wege erreichbar. Schon überlege ich, an welchem der idyllischen Seen ich mein lang ersehntes Tinyhaus errichten könnte, doch dann denke ich an den Winter und seine Temperaturen (nicht selten unter -30°C). Brrrrrhhhhh!!!! Und ganz ehrlich: die Lage mag noch so viele Reize haben, zum nächsten McDonald, zum nächsten Baumarkt ist es doch arg weit!


Die Siedlung wurde nur für die Arbeiter angelegt.

Dass man es bei der Erschließung mit dem Natur- und Umweltschutz nicht sonderlich genau genommen hat, liegt auf der Hand; zu groß sind die Gewinne, die man hier einfahren kann! Obendrein war 'so etwas' in den 1960, 1970-ern ja auch noch gar kein Thema. Doch heute schmerzt der Anblick eines trockengelegten Wasserfalls doch gewaltig. Von den gewaltigen Gebirgen, sprich Abraumhalden rund um Labrador City ganz zu schweigen! Aber der Reihe nach!


Glücklicherweise sind das nur schwere Regenwolken.

Der mächtige Churchill River entwässert nahezu ganz Labrador und führt entsprechend viel Wasser. An den Churchill Falls - 300 Kilometer westlich von Happy Valley gelegen - stürzte der Strom in mehreren Kaskaden dreihundert Meter in die Tiefe und hatte sich in den Jahrtausenden eine imposante Schlucht gegraben, die der des Sambesi im Süden Afrikas in nichts nachsteht: schmal, aber ungemein tief! Ihr erinnert euch: am Sambesi liegen die weltbekannten Victoria Falls!

Hier allerdings hat man kurzerhand den gesamten Fluss umgeleitet und heute stürzen seine Wassermassen durch übermannshohe Fallrohre in die Tiefe und treiben gewaltige Turbinen an. [5] Eine Energiequelle ungeheuren Ausmaßes - der elektrische Strom wird bis hinüber nach Neufundland und Nova Scotia übertragen (HVDC-Link, ±750kV), das Gros geht jedoch nach Québec (wo ein halbes Dutzend weiterer Erzminen mit Energie versorgt werden wollen) und hinunter nach Toronto. Dabei ist das Kraftwerk bei den Churchill Falls nicht das einzige: vier weitere liegen am gleichen Fluss und liefern Strom in den energiehungrigen Süden. Topografie und Regenmengen machen's möglich.


Klägliche Überreste eines Naturspektakels.

Könnt ihr euch ausmalen, was hier früher los war?

Überreste eines einst grandiosen Wasserlaufs.

Auch hier hat es vor wenigen Jahren gebrannt.

Von dem einst mächtigen Strom blieb allerdings nur ein müdes Rinnsal übrig, das sich nach wie vor in die majestätische Schlucht stürzen darf! Nennt sich jetzt auch nur noch Hamilton Falls (allfällige Parallelen zum Leibesumfang der Herren Churchill und Hamilton wären rein zufällig emoticon). Sieht man das schmale Rinnsal in dem mächtigen Flussbett und stellt sich vor, wie das vor fünfzig, sechzig Jahren ausgesehen haben muss … man könnte üble Laune bekommen! Andererseits könnte ich mich vermutlich gar nicht darüber echauffieren, denn ohne das Kraftwerk gäbe es auch die Straße nicht, die mich hergebracht hat!

 

Labrador City


Rauchwolken verfinstern den Himmel über Lab' City.

Ohne das Kraftwerk gäbe es auch Labrador City nicht. Beziehungsweise Wabush, ihre Schwesterstadt, gemeinsam als Labrador West bezeichnet. Knapp 20.000 Einwohnern (davon etwa 9% Inuit und Métis) leben für gewöhnlich hier. Oder sollte ich sagen: schuften hier? Denn die Stadt ist eine reine 'Arbeitsstadt' und allenfalls die leitenden Angestellten finden ein wenig Grün vor ihrer Haustüre. Die Minen arbeiten rund um die Uhr im Schicht­betrieb; die Arbeiter schuften drei Wochen, dann haben sie drei Wochen frei - sonst lohnt sich die lange Anreise nicht (meist per Flugzeug). Nun zu gut kann ich die Pendler verstehen, die lieber 1200km hin- und herpendeln als hier dauerhaft zu wohnen!


Allüberall entdeckt man die Anzeichen früherer Bushfire.

Aktuell sind die beiden Städte allerdings menschenleer - sieht man von Polizei und Feuer­wehr ab. Eindringlich werde ich gleich am Ortseingang vergattert: die Stadt sei evakuiert - wegen eines Wildfires. Ich darf also in der Stadt weder anhalten noch aussteigen, Läden und Tankstellen seien ja sowieso geschlossen. Aber zumindest ist die Durchgangsstraße offen und problemlos befahrbar! Ein Stein fällt mir vom Herzen: die fade Rückfahrt nach Neufundland und Nova Scotia bleibt mir erspart!


Labrador City ist nur ein riesiger Industriekomplex.

Die Stadt selber macht einen desolaten Eindruck, an der Hauptstraße reihen sich Werkstätten für schweres Minengerät - Bulldozer, Schaufelbagger und Muldenkipper - aneinander und die Seitenstraßen wurden völlig abgeriegelt. Selbst McDonald und Walmart sind verbarrikadiert. Über allem hängt eine dunkelgraue, bedrückende Rauchwolke. Vom Feuer selbst ist jedoch nichts zu sehen, vier Kilometer nordwestlich des Hospitals soll es wüten, wird mir berichtet, und es soll unglaublich heiß sein!


Trotz Regen ist die Waldbrandgefahr hoch!

Nachdem es in den vergangenen Tagen immer wieder geregnet hat - und das nicht wenig - bin ich erstaunt, wie hartnäckig das Feuer lodert. Löschflugzeuge oder ähnliches kann ich allerdings nicht ausmachen: vermutlich lässt man das Feuer einfach brennen und versucht, nur die Stadt bzw. die technischen Einrichtungen zu schützen, so gut es geht. Ein Wildfire ist hier schließlich nichts Ungewöhnliches, im Kreislauf der Natur gehört es einfach dazu! Irgendwie beklemmend ist es trotzdem!

 

Rücksturz in die Zivilisation: die #389

Zum Glück muss ich nicht an die Tanke (ist ja eh geschlossen), sondern kann gleich weiterrollen: zwanzig Kilometer entfernt wartet schon die Grenze zu Québec. Kontrolliert wird natürlich nicht, nur das Navi muss ich umstellen (andere Provinz) - und mein Sprachmodul: hier wird - ausschließlich - Französisch gesprochen.


Kilometerlange Güterzüge bringen den Reichtum …

Ansonsten das gleiche Bild wie drüben in Labrador City: Abraumhalden, soweit das Auge reicht. Dazwischen breite Pisten für schweres Gerät, wenig ansehnliche Förderbänder und schmutz­starrende Aufbereitungsanlagen. Was genau da gefördert wird, möchte ich gar nicht wissen, dem Reiseführer nach sollen es Eisenerze und Kohle sein, die im Tagebau abgebaut werden! Ungefragt poppen Bilder von Bitterfeld, Leuna oder der Schwarzen Pumpe auf. Zum Glück wird das Zeug nicht auf der Straße abtransportiert, sondern über eine eigene Eisenbahnlinie, die 800 Kilometer gen Süden nach Sept-Iles verläuft. Dort wird aufs Schiff umgeladen und ab damit nach Europa oder in die USA.


Abraumhalden einer gigantischen Eisenerzmine.

Seit der Grenze Labrador - Québec trägt die Straße auch keinen wohltönenden Namen mehr, heißt nur noch #389. Dafür gibt's aber auch keine Teerdecke mehr! Zweimal siebzig Kilometer - dort, wo die Route durch das Gelände irgendeiner Mine verläuft - holpert man auf Schotterpisten dahin. Die sind zwar leidlich gepflegt, aber es herrscht unerwartet viel Verkehr. Vor allem überbreite Sattel­schlepper! Doch auch hier bewahrheitet sich die alte Weisheit: "Eine gute Piste ist hundertmal besser zu fahren als eine schlechte Straße!" Auch die Landschaft wandelt sich, je weiter ich wieder in den Süden komme: in stetigem Auf und Ab führen Straße bzw. Piste durch bergiges Terrain, das ausnahmsweise mal nicht von Abraumhalden bestimmt ist.

Bei Gagnon - bestehend aus Tankstelle und drei Wohncontainern - ist endgültig das Tal des Rivière Manicouagan erreicht. Quasi der québec'sche Bruder des Churchill River. Auch am Manicouagan dienen die fünf Staustufen vorwiegend der Stromproduktion [6], das Kraftwerk Manic-5 kann man sogar besichtigen - sofern man Französisch spricht!


Das Kraftwerk Manic-3 ist nur eine der kleineren Anlagen am Rivière Manicouagan!

Je mehr man sich der Küste nähert, desto stärker wird auch der Verkehr. Vor allem der Schwerlastverkehr! In den Minen weiter oben geht ja immer etwas kaputt … und die Ersatzteile werden ausnahmslos per Tieflader herangekarrt. Von Ruhe und Abgeschiedenheit kann jedenfalls keine Rede mehr sein! Nach zehn Kilometern nagelneuer - dreispuriger - Straße stehe ich dann urplötzlich vor der magischen Ampel von Baie-Comeau! Und bin zurück in der Zivilisation - viel zu früh für mein Empfinden … und viel zu abrupt!


Da kommt Freude auf: Landschaft nahe Gagnon.

Inzwischen komme ich wieder ganz gut klar damit, aber der Unterschied zwischen hier und dort ist doch gewaltig! Und ganz ehrlich: dort hat es mir besser gefallen! Das Einzige, was ich wirklich vermisst habe waren Bären und Elche. Vor denen warnen zwar unzählige Verkehrs­schilder, doch vors Auge respektive vor die Linse habe ich keinen einzigen bekommen! Schade, schade!

Vielleicht habe ich ja auf der nächsten Etappe mehr Glück, denn das eigentliche Bear-Country fängt ja gerade erst an! Deshalb werde ich morgen gleich wieder abbiegen: auf die #172 Richtung Saguenay und Val d' Or. Und bin genauso gespannt wie ihr, was mich dort erwartet!


Aug 19 2024

Icon Icon Sioux Narrows (Ontario, Canada) (GPS: 49°25,4030'N; 094°03,6240'W)


Der Campground des Sleeping Giant P.P.

Zum ersten Mal stehe ich auf dem gleichen Campground wie vor zehn Jahren. Für gewöhnlich mache ich ja einen großen Bogen um Orte, die mir besonders gut gefallen haben. Doch hier ist es eher umgekehrt: damals hatte ich mich hierher geflüchtet, nachdem ich die Lady Grey beinahe in den Graben gesetzt und nur Minuten später die Windschutz­scheibe zerdeppert hatte. Also eher ein Ort negativer Erinnerungen. Deshalb darf ich auch hierher! Allerdings erkenne ich den Platz kaum wieder: die Parzellen sind klein, Tische, Bänke, Waschraum und Toilette haben die besten Tage hinter sich und der halbe Platz ist von Dauercampern belegt! Einschließlich Kind und Kegel, Boot und Quad, Feuerholz und den kompletten Hausrat sowieso. Kein Ort, um sich rundherum wohlzufühlen! Es bedarf also nicht immer netter Erinnerungen, um enttäuscht zu werden! emoticon Das aber nur nebenbei!

 

Altes und neues Gold


Auch der 'Fjord du Saguenay' wurde von Gletschern ausgefräst.

"A hell lot of nothing between nowhere." Diese selbstgewählte Bezeichnung der Aussies für ihr Land trifft auf Canada mindestens genauso zu. Die Entfernungen sind einfach riesig! Und die Touri­attraktionen, die im Reiseführer als 'absolut sehenswert' bzw. 'Must See' angepriesen werden, entpuppen sich bei näherem Hinsehen dann doch nur als 'na ja, ganz nett'! Das trifft für den 'Norden' des Landes noch einen Tick eher zu als für den 'Süden', wo sich doch eine Reihe sehenswerter Städte und Stätten am TCH, dem Trans-Canada-Highway aneinanderreihen. Doch ich wollte ja weg aus der Zivilisation - zumindest aus der touristisch verseuchten!  [4]


Nach schweren Regenfällen führen sogar Seen Hochwasser.

Im 'Norden' ist mir das - glaube ich - ganz gut gelungen. Wobei ich nicht erwartet hatte, dort auf 'Wilde' zu stoßen! Allenfalls auf 'Wildcamper'! Hatte ich oben schon erwähnt, dass Canadier generell gerne etwas verstreut wohnen, so trifft das auf die Camper in noch viel größerem Maße zu: an den unwegsamsten Waldwegen, mitten im Nirgendwo sind sie anzutreffen, Hauptsache, ein See ist in der Nähe, auf dem sie angeln oder bootfahren können.


In those good old days …

Oder einfach nur mit dem ATV/Quad durch den Wald heizen. Denn ohne diese Dinge ist ein Canadier - gerade im Norden - nicht vorstellbar: Angelrute, Boot und ATV gehören ebenso selbst­ver­ständlich zum Leben wie ein großvolumiger Pickup und ein noch viel großvolumiger 5th-Wheeler! Man könnte trefflich darüber streiten, wer zum Anfang des letzten Jahrhunderts das Camping erfunden hat: die Amis oder die Canadier?

Die Natur ist aber auch zu schön, um sie nur in der Glotze zu bewundern! [7]


Die Canadier - gerade im 'Norden' sind echte Outdoorfreaks:

Das Grün im 'Norden' ist wirklich üppig!

Leuchtende Blumen findet man sogar inmitten der Zivilisation.

Zu vielen der über 22.000 Seen in Québec führen schmale Pisten

 

Gold, zum ersten


Der Name Val d'Or hat nicht zu viel versprochen: GOLD!

Eine andere Parallele zu Australien drängt sich im Norden ebenfalls auf: Gold! Altes wie neues! Schon das Städtchen Val d'Or lockt mit dem Namen des edlen Metalls. Vergebens allerdings. Denn die Förderung ist schon seit den 1960-ern eingestellt: zu unergiebig waren die Goldadern. Doch noch heute zehrt die Stadt mit nicht mal 30.000 Einwohnern von ihrem Namen. Scharenweise wollen die Besucher in die alte Mine einfahren, um zu sehen, wie damals das wertvolle Gestein abgebaut wurde - ganz ähnlich wie in Deutschland Steinkohle oder Eisenerz, nur mit etwas mehr Profit!


Viele der originalen Holzhäuser werden noch heute bewohnt

Dass es den Mineuren nicht schlecht erging, zeigen nicht zuletzt ihre Wohnhäuser, die noch heute erhalten sind und - ein wenig aufgehübscht - auch bewohnt werden. Auch ein Krankenhaus wurde schon in den 1930-ern errichtet, das erste so weit im Norden. Bald behandelten die Ärzte hier nicht nur Minenarbeiter, sondern auch viele Indigene.


Faszination pur: Gold!

Val d'Or machte damals den Anfang, ist heute aber nur noch ein Museumsstädtchen. Doch was die Prospektoren nach und nach fanden, war tatsächlich ein Tal des Goldes, eine Gesteinsader, die sich auf über hundert Kilometern Länge fortsetzt. Noch dazu nahe an der Oberfläche! Ohne großen Aufwand abzubauen! Und so reiht sich westlich von Val d'Or eine Mine an die andere, um dem Boden das kostbare Metall zu entreißen. Mitten im Städtchen Malartic kann man dem Spektakel sogar zusehen. Und wird kein Gold gefunden, so doch wenigstens Kupfer, das heute kaum weniger gewinnbringend ist! Dass man zur Gewinnung von beidem sowohl eine Menge Energie als auch eine Menge Chemie benötigt: davon zeugen die fetten Hochspannungsleitungen, die sich von einer Mine zur nächsten spannen, sowie stinkende, grüne und rote Kloaken, die zwar einigermaßen versteckt angelegt wurden, dennoch kaum zu übersehen sind!


Mitten in Malartic wird noch heute Gold gefördert - im Tagebau!

Auch typisch für den canadischen 'Norden': Hochspannungsleitungen

Einer meiner schönsten Nachtplätze …

Der Abschied vom netten Nachtplatz wird zur Schlammschlacht

Ein Gutes jedoch bietet diese geschundene Landschaft: Nachtplätze ohne Ende! Alle paar Kilometer zweigt von der öden Hauptstraße eine Schotterstraße ab, die zu einer aufgelassenen Mine oder einem der 22.000 - naturbelassenen - Seen führt, mit denen Québec aufwarten kann. Eine durch lange Reisen geschulte Nase findet fort immer wieder herrlich ruhige, idyllische Plätze zum Übernachten - oder auch für länger! Natur ist schließlich für alle da!

 

Das neue Gold


Viel einfacher zu gewinnen als Gold: das Gold der heutigen Tage.

Westlich des Abitibi River stößt man auf eine Goldader ganz anderer Art: Holz. Mindestens ebenso einträglich - aber viel preiswerter abzubauen! Okay, wachsen tut das Grünzeug allüberall in Canada. Überall, kann man sagen, wo kein See im Wege ist. Aber derart großflächig wie hier wird es nirgendwo sonst abgebaut. Jedes noch so kleine Städtchen kann mit einer eigenen Fabrik aufwarten, die Black Spruce und Red Spruce, die beiden Fichtenarten, die in diesen Breiten gedeihen, verarbeitet. Entweder werden Zahnstocher daraus … oder Bauholz … oder - mit Abstand am häufigsten - Papier. Der unverkennbare Duft weht einem allenthalben um die Nase.


Beinahe jede Stadt kann mit einer eigenen Holzfabrik aufwarten.

So auch in Kapuskasing, quasi der Keimzelle der heutigen Holzindustrie. Angefangen hat alles während des ersten Weltkriegs, als hier 30.000 deutsche (und andere) Kriegsgefangene interniert waren und die Eisenbahnlinie von Val d'Or verlängern mussten: 300 Kilometer durch - damals - menschenleeres Nirgendwo. Mit der neuen Eisenbahn wurden zunächst nur die geschlagenen Bäume abtransportiert, doch bald entstand am gleichnamigen Fluss die erste Papierfabrik. Die nicht die letzte bleiben sollte!

Die Canadier müssen ihre Gefangenen damals überaus menschlich behandelt haben - trotz Schufterei bei Schnee, Eis und Moskitos! Denn viele von Ihnen kehrten nach dem Krieg zurück und halfen dabei, das abgelegene Nest weiter aufzubauen. Noch heute findet man zahlreiche vertraut klingende Namen auf Türschildern und Grabsteinen und die Region zählt zu den am dichtesten besiedelten des Nordens.


Allüberall entdeckt man die Anzeichen früherer Bushfire.

Sehr nett und zudem kostenlos führt uns Heather durch das kleine Museum von Kapuskasing - treffend in zwei alten Eisen­bahn­waggons untergebracht. Sie zeigt uns auch zwei Dutzend liebevoll modellierte Gruppen aus Tonfiguren die einen Einblick in das damalige Leben hier draußen gestatten, das wohl alles andere als romantisch war. Geschaffen wurden die Figurinen von Ron Morell, einem leidenschaftlichen Sammler und Ton-Künstler. Das Material bot sich geradezu an, liegt es hier doch direkt vor der Haustür; die Gegend südlich der Hudson Bay wird nicht umsonst 'Clay Belt' genannt. Auch ich hatte bereits die Ehre seiner Bekanntschaft emoticon.


Seltene Begegnung: zwei Nordlichter mit Heather, unserer Führerin in Kapuskasing.

Wir staunen nicht schlecht, wie viele Details uns Heather erzählen kann. Uns? Nicht unerwähnt bleiben soll nämlich ein anderes 'Kuriosum': als ich auf den Parkplatz des Museums rolle, steht da schon ein anderes Allradgefährt mit vertrautem Kennzeichen, einem aus Flens­burg. Die beiden Insassen sind die ersten Deutschen, die mir seit der Ausschiffung in Halifax über den Weg laufen - fast schon eine Sensation! In derart homöopathischen Dosen sind selbst deutsche Touris im Ausland zu ertragen! Zumal sich Swantje und Ortwin als überaus nette Zeitgenossen entpuppen.


Einfach abzuzählen: ein halbes Jahrhundert brauchte dieser Baum zum Wachsen.

Aber zurück zum Thema: die Holzindustrie - in jeder Couleur - ist entlang der #11, dem nördlichen Trans-Canada-Highway - allgegenwärtig. Kahlschläge leider auch. Die verstecken sich zwar g'schamig hinter zwei, drei Reihen stehengelassener Fichten, sodass sie von der Straße her erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind, trotzdem bleiben sie unübersehbar. Obendrein zerschneiden sogenannte Loggingroads das halbe Land, teilen den Wald auf wie ein Schachbrett und erschließen auch weit abgelegenes Terrain, wo es nicht anders aussieht.


Die Abraumhalden des 'neuen' Goldes sehen kaum besser aus als die des alten.

Was zurückbleibt, wenn Bulldozer und Harvester nach der 'Ernte' abgerückt sind, mag man sich gar nicht vorstellen: es sieht aus wie nach einem Bombenangriff. Nur das hochwertigste Holz wird auf haushohen Stapeln zusammengeschlichtet, um es per LKW zur nächsten Fabrik zu karren. Viel, sehr viel offenbar minderwertiges Holz bleibt jedoch zurück. Dazu Schlammpfuhlen und Rückewege, auf denen auch in hundert Jahren kein noch so anspruchsloser Halm gedeihen wird. In meinen Augen ist das der reine Raubbau!


Auf dem Weg zur nächsten Papierfabrik: das Gold des Nordens.

Selbst die Einheimischen beklagen den weiträumigen Kahlschlag, bemängeln vor allem, dass die Bäume viel zu früh geschlagen werden - 'ausgewachsene' Bäume mit mehr als 30 Zentimeter Durchmesser sind tatsächlich selten! - und dass hinterher nicht wieder aufgeforstet wird. Auch ich kann von Aufforstung wenig entdecken, und wenn, dann durch die Natur selbst! Fällt hier nämlich ein Samen auf die Erde hat man beinahe die Garantie, dass daraus in zwei, drei Jahren ein veritables Bäumchen entstanden ist. Bis es aber erntereif wird, vergehen - mindestens - fünfzig, sechzig weitere Jahre!


Nicht überall wird nach dem Kahlschlag wieder aufgeforstet.

Hatte ich mich im letzten Kapitel noch gefreut, dass die Natur in Canada noch weitgehend intakt sei, würde ich das inzwischen nicht mehr unterschreiben. Auch hierzulande regieren Geld und Kommerz und Nachhaltigkeit ist ein kaum gehörtes Fremdwort! Einzig die Dimensionen des Landes sind so gewaltig, dass man wohl noch nicht überall dazu gekommen ist, der Natur ihre Schätze zu entreißen! Doch erinnern wir uns der alten Weisheit der Cree-Indianer: "Wenn der letzte Fisch gefangen, der letzte Baum gefällt ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann!". Dass erschreckende allerdings ist, dass dieser Kahlschlag häufig von indigenen Communities durchgeführt wird, die sich gerne damit brüsten, Nachhaltigkeit und tiefes Verständnis für die Umwelt schon mit der Muttermilch eingesaugt zu haben. Doch wenn der Raubbau noch ein paar Jahrzehnte so weitergeht sehe ich schwarz für den borealen Nadelwald!


Seltener Nachtplatz: Sonnenaufgang am Pearl Lake bei Timmins.

Der Herbst zieht ins Land …

Leckere Blaubeeren finden sich auf jeder Lichtung …

Auch das gehört dazu: im René Brunelle P.P. ist Hausputz angesagt.

Bei Bertram, einer 50-Seelen-Gemeinde westlich von Hearst habe ich genug von Kahlschlag und Holzlastern und biege auf die #631 ab, die mich stur gen Süden und bei White River auf den südlichen TCH (die #17) bringt. Im Vergleich zum vielbefahrenen nördlichen 'Holzlaster-Highway' herrscht hier 'Verkehr wie auf dem Stachus'. Man muss seine Fahrweise gehörig umstellen, denn mit 'Cruisen bei moderater Geschwindigkeit' macht man sich hier keine Freunde mehr: zu ungeduldig sind die Fahrer der fetten 60-Tonnen-Brummis, die es eilig haben, ihre Fracht von Ost nach West zu bringen. Ganz so eilig wie ihre Kollegen in Europa - insbesondere in Deutschland - haben sie es allerdings nicht, denn Sicherheit, Respekt und Rücksichtnahme stehen bei den Canadiern ganz hoch im Kurs. Zum Glück gibt es alle paar Kilometer Überholspuren, auf denen sie an der Lady Grey vorbeiziehen können. Denn auch hier ich will mich nicht hetzen lassen: viel zu imposant ist die Landschaft, viel zu interessant die Dinge, die selbst hier, auf der 'altbekannten' Südroute am Rande der Straße noch zu entdecken sind!


Fehlt nur der Regenbogen: in der Bucht von Thunder Bay.

Gut, wenn der Spritlaster vorausfährt …

Städtischer Campground in Fort Frances.

Eisenbahnbrücke über den Rainy Lake;

 

Travelblues


Reiseroute

Von ungetrübter Reisefreude kann allerdings gerade keine Rede sein. Vielleicht habt ihr es zwischen den Zeilen lesen können. Zum wiederholten Mal hat mich der 'Reiseblues' in seinen Krallen. Keine Angst, das passiert bei mir alle paar Monate. Dabei könnte ich gerade so etwas wie 'Bergfest' feiern - eigentlich ein Grund für ein Freudenfeuer. Ein Blick auf die Landkarte zeigt nämlich: ungefähr die Hälfte der Strecke ist geschafft, zumindest kilometermäßig. Andererseits warten noch jede Menge landschaftlicher Leckerlies auf mich: die Rocky Mountains, vor allem jedoch die wüsten Gegenden in Colorado, Utah und Kalifornien. Auf die freue ich mich ganz besonders.

Oder rührt die miese Laune nur von der Enttäuschung her, wie normal, wie alltäglich Canada geworden ist. Schwang im Osten (Labrador und Neufundland) noch eine gehörige Portion Abenteuer und Besonders-Sein mit, so ist hier im Süden davon keine Rede mehr. Insbesondere seitdem ich auf den TCH eingebogen bin und nur noch altbekannte Locations abklappere (bzw. links liegen lasse, wie den Sleeping Giant P.P. oder die Kakabeka Falls), ist von Abenteuer oder Herausforderung nichts mehr zu spüren!

Besonders krass ist's rund um Sioux Falls und Nestor Falls (beide liegen nur 50 Kilometer von der US-Grenze entfernt an der #71). Vor zehn Jahren war das eine ausgemachte Fuchs-und-Hase-Gegend, wenn auch wunderschön. Doch neuerdings reiht sich ein Touri-Resort ans andere, viele mit sogenanntem Fly-In, was ich als ultimatives No-Go in Sachen Touristik empfinde! Einsamkeit, Ruhe und Abgeschiedenheit: gut und schön. Wenn ich dafür aber Hunderte Kilometer mit dem Wasserflugzeug anreisen muss - und mit mir sämtliche Vorräte, Ausrüstung etc. - so gebührt dem doch auf der Nachhaltigkeitsskala von null bis zehn mindestens eine minus zwei!! Wie zur Bestätigung flattert allenthalben das Sternenbanner der Vereinigten Staaten.


Neues Wahrzeichen von Winnipeg: das Museum der Menschenrechte

Lange Zeit überlege ich, gleich bei Thunder Bay oder ein wenig später, bei Fort Frances die Grenze zur USA zu überqueren. Das würde ein paar hundert Kilometer Fahrerei einsparen. Doch bis zum Labour Day, dem Ende der Feriensaison sind noch zwei Wochen Zeit. Genug für einen kurzen Umweg über Winnipeg. Das kenne ich zwar schon (siehe hier ), doch in den letzten drei, vier Tagen habe ich auch auf der alten, schon bekannten Route so viel Neues entdeckt, dass ich hoffe, auf Winnipeg wird das auch zutreffen. Vor allem das Museum for human rights, das damals noch nicht fertiggestellt war, interessiert mich brennend.


aug 29 2024

Icon Icon Turtle Mountains (Manitoba, Canada und North Dakota, USA) (GPS: 49°00.0000'N; 100°03.2940'W)

 

Good Bye, Canada


Royal Canadian Mint

Auf Winnipeg hatte ich mich wirklich gefreut. Nicht nur des Museums wegen. Doch wie das so ist beim Reisen: erstens kommt es anders, zweitens als man denkt … Zum Besuch der Münzpräge­anstalt, genannt The Mint kann ich mich noch überreden, auch ein paar Arbeiten an der Lady Grey kann ich erledigen; doch die City gibt sich diesmal zugeknöpftemoticon: die Straßen sind miserabel, Parkplätze Mangelware, ein ÖPNV nach Halifax'schem Vorbild fehlt und fürs Radl sind die Entfernungen einfach zu groß! So willkommen etwas Abwechslung von der Fahrerei über Land gewesen wäre, so wenig mag ich mich hier in das plötzliche Verkehrsgewimmel stürzen! Kurz und gut: Winnipeg bleibt dort, wo die anderen Großstädte auch geblieben sind: links liegen. Stattdessen rolle ich weiter gen Südwesten, um auf möglichst abwechslungsreicher Route die Prärie hinter mich zu bringen.


Prärie vom Feinsten …

Wenigstens das gelingt! Die Fahrt über die strikt in Ost-West- oder Nord-Süd-Richtung angelegten Straßen ist unerwartet kurzweilig: die Ernte läuft gerade auf Hochtouren … und auf der (im Vergleich zu den Highways) schmalen Straße ist man quasi live dabei. Interessant auch die Vegetation: in Ontario sah man vor lauter Bäumen kaum mal die Landschaft, hier sieht man in der Landschaft kaum mal einen Baum! Stattdessen Korn- und Maisfelder oder kniehohes Gras bis zum Abwinken. Einzig die weit verstreuten Farmen haben sich mit Büschen und Bäumen umgeben - als Schutz vor der beständig steifen Brise.

Recht zügig ist so das nächste Highlight erreicht: der Turtle Mountain Provincial Park. Die sanften Hügel mit gerade mal 700 Meter über dem Meer als 'Mountain' zu bezeichnen grenzt an Größenwahn, doch sie müssen wirklich etwas Besonderes sein! Zumindest wird viel Aufhebens darum gemacht - hüben wie drüben! Denn die Berge liegen genau auf dem 49. Breitengrad, der Grenze zwischen Canada und USA.


Am Ufer des Silver Lake.

Getreidesilos sind (fast) das einzig Sehenswerte.

Canadische Interpretation und …

… US-Interpretation einer Schildkröte.

Die Grenze ist natürlich mein eigentliches Ziel. Mountains hin, Turtles her! Der Immigrationofficer lässt sich gehörig bitten [8], doch nach eineinhalb Stunden ist es geschafft: ich darf sechs Monate in den Vereinigten Staaten bleiben. Drei Monate hätten zur Not gereicht, doch ich hege die Hoffnung, dass am vierten November eine seriöse Kandidatin das Rennen macht und Reisende danach in diesem Land noch willkommen sind. Denn langsam muss ich einen Gang zurückschalten: 7.500 Kilometer in knapp drei Monaten waren einfach zu viel! [9] Man könnte von Stress sprechen! emoticon


Mit dem Sonnenuntergang vom letzten Mal kann dieser nicht mithalten!

Das muss anders werden! Schließlich bin ich auf Reisen, nicht auf der Flucht! Oder?


Button Rechts geht's weiter von North Dakota bis New Mexico (USA, Sommer 2024) …



Fußnoten:

[1] Wikinger ca.1000; John Cabot 1498; Jaques Cartier 1534; Samuel de Champlain 1604 u.a.

[2] Welche Sprachen das neben Englisch und Französisch sind, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen. Möglicherweise die der Innu und Beothuk, die heute die zahlenmäßig größten Communities stellen.

[3] Das Finden von passablen Nachtplätzen ist gar nicht so einfach! Man kann nicht einfach von der Straße abfahren und sich auf eine einsame Wiese stellen! Erstens sind die Ränder der Straße überaus steil (man fährt auf einem aufgeschütteten Damm) und zweitens ist die 'Wiese' mit tödlicher Sicherheit sogenannter 'Bog', d.h. grundloser, nasser Morast, in dem man bis zu den Achsen (mindestens) versinkt! Und zwischen den unzähligen Bäumen (Spruce) käme nicht mal ein Fußgänger hindurch. Zum Glück gibt's alle paar Dutzend Kilometer offene Kiesflächen (da, wo früher die Straßenbaucamps standen) oder Steinbrüche (wo das Unterbaumaterial der Straße geholt wurde). Dort kann man prima über Nacht bleiben, auch wenn die Plätze nicht wirklich romantisch sind!

[4] Nur damit wir uns nicht missverstehen: der wirkliche 'Norden' Canadas beginnt erst tausend, zweitausend Kilometer weiter oben, sage wir ab dem 60.Breitengrad! Demgegenüber liegt mein nördlichster Nachtplatz (N53°36.028' W64°18.899') noch arg weit im Süden!

[5] Das Kraftwerk ist ein sog. Kavernenkraftwerk, d.h. die Turbinen liegen im Innern des Bergs. Draußen kann ich nur die überdimensionale Schaltanlage entdecken. Am Zugang wird an einer mannshohen Infotafel die gerade generierte Leistung angezeigt: 6.500MW! So viel wie fünf deutsche AKWs! Ob das seine Richtigkeit hat, konnte ich nicht nachprüfen, aber die Schaltanlage war echt beeindruckend. u.a. die HVDC-Übertragung mit ± 750kV!

[6] Für gewöhnlich dienen Wasserkraftwerke mit Stauseen in gleichem Maße dem Schutz vor Hochwasser (Schneeschmelze!), der Wasseregulierung (Bewässerung in Trockenperioden) wie der Erzeugung vom elektrischem Strom.

[7] Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es wirklich die Natur ist, die die Canadier so gerne genießen. Vielmehr habe ich den Eindruck, sie ist nur ein unendlich großer 'Playground', auf dem sie sich austoben können!

[8] Der Officer möchte/muss sicherstellen, dass ich in den USA nicht arbeiten werde. Ähm, ich und arbeiten? Also muss ich Nachweise über Krankenversicherung und sämtliche Ersparnisse vorlegen. Zum Glück gibt er sich mit den Online-Dokumenten auf dem Laptop zufrieden! Das (noch immer gültige) B1/B2-Visum aus 2014 interessiert ihn hingegen wenig.

[9] Zumindest hat sich meine anfängliche Schätzung hinsichtlich der Kilometer bestätigt: 'obenrum' sind es weniger Kilometer als 'untenrum' (Halifax - Winnipeg: 6944km vs. 8142km, mithin eine Ersparnis von 15%) Jedem Canada-Neuling würde ich dennoch die Route 'untenherum' empfehlen: sie bietet einfach mehr Abwechslung!