Moulay Bousselham (Marokko) (GPS: 34°52,519'N; 006°17,176'W)
Der Regen prasselt gegen die Fenster. Fischer- und Ausflugsboote tanzen auf den gischtgekrönten Wellen des Merja Zerga, einem Vogel- und Naturschutzgebiet wenig südlich von Larache an der Westküste. Jetzt stellen sich auch noch zwei riesige weiße Wohnkisten direkt vor mein Aussichtsfenster! Unangenehmer hätte der Rücksturz zur Zivilisation kaum sein können! Seit Tagen scheine ich genau die Dinge magisch anzuziehen, um die ich eigentlich einen großen Bogen machen wollte:
- Neurotische Polizisten und 'Offizielle'
- Straßensperren für eingebildete Schlipsträger in schwarzen Limousinen
- Worte wie "interdit", non authorisee"
- Regen, Schnee und Graupel
- Temperaturen kaum über dem Gefrierpunkt
- Kinder, die aus purer Langweile Touristen ärgern
Angefangen hat alles am 21. Januar, am Tag, als ich den Hohen Atlas überquerte. Und bei Marrakech in ein scheinbar völlig anders Marokko eintauchte als ich es in den bisherigen zwei Monaten kennen- und lieben gelernt hatte. Und dieses Marokko mag mir gar nicht recht schmecken! ... Vor sechs Wochen hab ich noch über Jens und Maria geschmunzelt, die die Küste entlang gen Süden gerollt waren und meinten, sie könnten dem Land rein gar Nichts abgewinnen. Inzwischen kann ich sie verstehen! Und dass die meisten Franzosen südlich des Atlas-Gebirges überwintern, hat wohl auch nicht nur mit der Witterung zu tun! Gastfreundschaft jedenfalls schaut anders aus!
Aber nun hübsch der Reihe nach!
Noch schreiben wir das Jahr 2013, der letzte Reisebericht aus Ait Ouabelli - weit unten im herrlichen Süden - ist frisch ins Netz gestellt und ich habe einen einsamen Platz unter Palmen gefunden, an dem ich prima das neue Jahr einläuten könnte. Da entdecken mich ein paar Kinder aus der nahen Oase, die - wie das hier üblich ist - zu allererst nach 'Cadeaux' fragen. In diesem Fall Schreiber und Schulhefte. Also gut! Drei Kulis und drei Schulhefte machen die Jungs glücklich. Und ich habe das Jahr wenigstens mit einer guten Tat abgeschlossen!
Ein halbe Stunde später steht die halbe Dorfjugend - mehr als ein Dutzend Jungs - an der Lady Grey und fordert nun ihrerseits Hefte und Kulis für sich und ihre Geschwister. Kein freundliches "Bitte", sondern knallhartes "Donnez moi stylo!!!" Dazu höchst unfreundliche Gesichter und ein paar geballte Fäuste. Als ich mich nicht erweichen lasse, ziehen sie beleidigt von dannen. Minuten später fliegt der erste Stein, verpasst die Lady Grey nur um Zentimeter. Der nächste trifft, der dritte auch - das ist ein faustgroßer Felsbrocken! Was folgt, ist eine Schimpftirade (meinerseits), Verfolgungsjagd und davonlaufen (ihrerseits). Natürlich habe ich gegen die Jungs keine Chance, obwohl ich die Hundert Meter Sprint noch unter 5 Minuten schaffe! Fazit: die Bande lässt sich nicht mehr blicken, aber mir ist die Laune gründlich verdorben! Die Lady bleibt 'Allah sei Dank' unverletzt.
Am nächsten Morgen suche ich mir einen wirklich abgelegenen Platz, an dem mich keine Kids ärgern können. Auswahl habe ich genug, ist die Gegend doch eine der am dünnsten besiedelten im südlichen Marokko. Fündig werde ich 'hinter den dritten Felsriegel', bei einer Gruppe einsamer Palmen rund um ein Wasserloch. Da führen nicht mal Reifenspuren hin! Tatsächlich kommen die ganze Woche nur drei Frauen zum Wasserloch, die mich aber völlig unbeachtet lassen. Zum Dank lasse ich ihnen später noch ein paar Schulhefte und Haushaltsdinge für die Kleinen da. Ich denke, Sie können es wirklich gebrauchen!
So kann ich das Neue Jahr doch in Ruhe einläuten. Sekt gibt's keinen (der ging schon vor Wochen zur Neige und hier im Süden gibt's keinen Nachschub), dafür ein leckeres Mittagessen und so manchen Gedanken an die Freunde, die zu Hause sicher bibbernd angestoßen haben.
Die nächsten Tage unternehme ich ausgedehnte und interessante Wanderungen. In die Umgebung, in ein ausgetrocknetes Flussbett und zu dem Tafelberg, den ich bei der Herfahrt entdeckt hatte. Um die Mittagszeit sind die Temperaturen angenehm, morgens und abends muss aber schon mal die lange Hose und der Fleece her. Auch ein bisschen PC-Arbeit ist angesagt, die 'lesbare' Dokumentation der Elektrik ist noch nicht ganz fertig. Aber wir wollen mal nichts übertreiben, das Jahr ist noch lang!
Nach einer ruhigen Woche unter Palmen ist wieder etwas Fahrerei angesagt. Und eine Wette. Jeden, wirklich jeden Tag der letzten drei Wochen war mir als erstes Fahrzeug des Tages ein weißes Wohnmobil begegnet. Hätte ich Strichliste geführt, wäre jetzt das halbe Armaturenbrett voller Kerben. Die Wette gilt also: "Was passiert im neuen Jahr?" Um ein Haar hätte ich gewonnen. Das erste Auto ist tatsächlich wieder eine Wohnkiste, wird in letzten Moment aber noch von einem Touristenbus überholt! Mist, verloren! Trotzdem lasse ich mir am Abend eine Tajine auf dem Camp Douar Akka Izankad, etwas außerhalb von Tata schmecken, wo ich Wasser bunkern, emails checken und mal wieder nach den Reisefinanzen schauen kann.
So ganz, ganz langsam muss ich nun auch an die Rückreise denken! Das Bergfest der Marokko-Etappe liegt schon ein paar Tage hinter mir und die KFZ-Versicherung läuft Mitte Februar aus. Dabei gibt's im Norden sicher auch noch einiges zu entdecken! Erster Anlaufpunkt soll Agadir sein. Nachdem so viele Senioren dort überwintern, muss es ja irgendwie auszuhalten sein!
Vorher aber noch ein paar Nebensträßchen: von Tata über Igherm nach Tafraoute. Die schmale, wenig befahrene Straße führt auf den Höhen des Antiatlas Gebirges durch eine äußerst markante Landschaft mit einsamen, wehrhaften Bergdörfern. Die Bewohner, Hochlandberber, waren - und sind - bekannt für Ihre Gastfreundschaft. Und ihren Freiheitsdrang. "Lieber tot als unfrei!" ist seit Generationen ihr Motto. Erst 1931 ließen sie sich von der kolonialen Übermacht der Franzosen 'befrieden'. Noch heute sympathische, freundliche Menschen!
Tafraoute liegt sehr versteckt und malerisch inmitten eines Talkessels zwischen Tausenden rot schimmernder, abgeschliffener Granitfelsen. Viele seiner Häuser sind unmittelbar um die Felsen herumgebaut, sodass manch ein Wohnzimmer eine Wand aus Granit hat. Abgesehen davon hat die Stadt selbst wenig zu bieten, eben ein Verkehrsknotenpunkt in westlichen Antiatlas. Der Weg dorthin allerdings ist spektakulär (zumindest dann, wenn man aus Osten kommt). Über einen ausgesetzten Pass führt die steile Passstraße in das malerische Tal der Ammeln, in dem die Dörfer schier am Felsen kleben und in denen die Muezzine besonders lautstark zum Gebet rufen. Eine ausgiebige Wandertour wäre hier sicher ihren Reiz! Wäre nur der Wind nicht, der von Stunde zu Stunde an Stärke zulegt.
In unzähligen Kurven windet sich die Straße hinunter in die fruchtbare Sous-Ebene, in der auch Agadir liegt. Unten angekommen, bläst uns ein ausgewachsener Staubsturm um die Ohren, der alles in tristes, unfreundliches Grau hüllt und der in jede Ritze kriecht.
Auch Agadir selbst versinkt in Staub und Sturm: am menschenleeren Strand fliegen halbe Imbissbuden und ganze Sonnenschirme durch die Luft. Ein wenig einladender Ort, selbst wenn man die verwaisten Strandliegen, die überteuerten Imbissbuden und die mondänen, nichtsagenden Hotels übersieht! Von einem Campingplatz, der wenigstens ein wenig Schutz vor den Naturgewalten bieten könnte, ist weit und breit nichts zu sehen (die liegen alle viel weiter in Norden).
Agadir hat sein - normalerweise - freundliches und warmes Wetter dem Hohen Atlas zu verdanken, an dessen Südhang es liegt. Wolken vom Atlantik regnen sich meist an der Nordseite ab und bescheren so dem Süden das trockene und milde Klima. Und das möchte ich doch noch ein paar Tage, wenn nicht Wochen genießen! Also im Süden des großen Gebirges bleiben, solange es irgend geht! Daher: wieder ab nach Osten, eine neue große Schleife ziehen, die dritte mithin. Noch immer gibt's auch im "kleinen Süden" ein paar Pisten, die ich noch nicht kenne!
Morgens kann ich die Bescherung der letzten Tage im Fernglas bewundern: zum ersten Mal in diesem Winter glitzert Weiß auf den Gipfeln des Hohen Atlas. Neuschnee! Unten Palmen, oben Schnee, ein seltsam bizarrer Anblick! Ein Blick auf die Karte zeigt mir die Orte, um die ich auf den ersten Schleifen einen großen Bogen gemacht hatte: M'Hamid mit den sagenumwobenen Dünen dicht an der algerischen Grenze und Ouarzazate mit seiner riesigen Solaranlage.
Die Fahrt nach Foum Zguid - ihr erinnert Euch an das Städtchen an der Bruchstelle inmitten malerischer Zickzackberge - führt 'natürlich' wieder durch die Berge. Tatsächlich bringen die schmalen, wenig befahrenen Sträßchen den Fahrspaß zurück. Die Menschen sind freundlich, die Landschaft beeindruckend - und einsam.
Hinter Foum Zguid wird's gleich wieder ernst, das Ziel aber lohnt (fast) jeden Umweg: der Lac d'Iriki. Der riesige See liegt direkt an der algerischen Grenze und die sandige Piste nach M'Hamid führt direkt vorbei. Am Seeufer, mit einem herrlichen Blick über die endlose Wasserfläche lockt das idyllische Café du Lac zu einem ausgiebigen Zwischenstopp. Die Sonne scheint, die Stühle stehen draußen, die Tische sind frisch geputzt. Der Espresso blubbert schon in der Maschine. Die Aussicht ist grandios!
Einziges Manko: der See hat Null Wasser. Leer. Ausgetrocknet. Nicht mal ein winziger Tümpel ist geblieben. Die Piste führt direkt auf dem Seegrund entlang, ganz entspanntes Fahren nur nach Kompass. Festgebackener, ausgedörrter Sand soweit das Auge reicht. Die Bedienung im Café hat seit Jahren Urlaub! Schade, hatte mich schon so auf ein Käffchen gefreut!
Die Piste von M'Hamid gen Westen soll passabel beschildert sein, vor allem um die vielen Allradtouris von der nahen algerischen Grenze fernzuhalten. Die Piste nach M'Hamid weiß davon nichts! Irgendwo östlich des Cafés dröselt sie sich auf, umgeht die Sandfelder mal linksrum und mal rechtsrum. Irgendwann dann nur noch einzelne Fahrspuren, die für mein GPS (und mein Gefühl) viel zu weit nördlich verlaufen! Trotzdem gibt's keine Alternative ...
Irgendwann sammeln sich die Spuren wieder und setzen mich direkt vor einer Schule für Nomadenkinder ab. Mitten im Nirgendwo, von Sand halb verschüttet, aber mit tollem Blick auf richtig hohe Sanddünen. Ein interessanter waypoint! Mehr der Nase als irgendeiner Markierung nach geht's weiter entlang einer geschobenen Piste, die sich aber weit nördlich von M'Hamid noch weiter nach Norden wendet. Ich aber will doch nach Süden! Also querfeldein! Stur Richtung 180 Grad, bis ich irgendwann eine brauchbare Piste in die richtige Richtung finde!
Das erste was in der Abenddämmerung im Blickfeld auftaucht ist ein Wasserturm. Direkt voraus. Dann ein Sendemast. Dann die Moschee. Dann ein paar Berberzelte, deren Bewohner auffallend gut Englisch sprechen. Und Dünen. Jede Menge winziger, malerischer, mit Grün bestandener Dünen, durch die sich einzelne Fußspuren winden.
Wo bin ich gelandet? "Im Naherholungsgebiet von M'Hamid" klärt mich ein Zeltbewohner auf. "Hierher bringen wir die Touristen, wenn sie mal 'richtige Wüste' erleben wollen. M'Hamid liegt gleich hinter den Dünen, zwei Kilometer von hier!". Ich bin heilfroh, haben mich meine Navikenntnisse doch nicht getrogen. Eine gute Nase ist manchmal schon Gold wert! Allerdings sollten die marokkanischen Karten mal korrigiert werden: M'Hamid liegt über vierzig Kilometer weiter südlich als in der Karte eingezeichnet!
Zur Feier des Tages gibt's ein ruhiges Plätzchen in den Dünen und zwei Tage Pause.
Weiter nach Südosten geht's beim besten Willen nicht mehr, direkt hinter M'Hamid verläuft die algerische Grenze. Auch mein Bedarf an Pisten ist fürs Erste gedeckt, also weiter gen Nordwesten, entlang des Vallee du Draa, durch die schon von der Herfahrt bekannten Palmengärten und Oasen. Inzwischen ist alles noch etwas grüner geworden (den Regen- und Schneefällen im Atlas sei Dank) und die Bauern resp. die Bäuerinnen arbeiten eifrig auf den Feldern.
Um Ouarzazate am Nordende des Vallee du Draa hatte ich auf der Herfahrt eine großen Bogen gemacht. Nun habe ich Zeit und Muße und lege drei Tage Zwischenstopp ein. Der 'Camp Municipal' ist allerdings wenig einladend (und das Personal wenig hilfsbereit), sodass ich gerade mal das Nötigste erledige und rasch weiterziehe.
Der Besitzer des nagelneuen Camp Dar Alfourssane, zehn Kilometer südlich der Stadt ist da schon um Welten freundlicher, begrüßt mich mit einem Kännchen Tee und Nüssen, und kredenzt abends leckeren Couscous. Eine ausgiebige warme Dusche am Morgen lässt die Eisblumen an den Fensterscheiben schnell vergessen und die Dame des Hauses nimmt sich für ein Taschengeld meiner Wäsche an. Der unverstellte Blick auf den schneebedeckten Hohen Atlas entschädigt für die schattenspendenden Palmen vor dem Fenster, die allesamt noch in den Kinderschuhen stecken. Alles in allem ein sehr empfehlenswerter Platz!
Solaranlage in Quarzazate [MAR] 500 Megawatt installierte Solarleistung bis zum Jahr 2015. Damit wirbt Ouarzazate bei Investoren für sein ambitioniertes Solarprojekt vor den Toren der Stadt. Es sollte Teil der europäischen Initiative DESERTEC werden, das auch mein früherer Arbeitgeber kurzzeitig so über den Klee gelobt hatte! Außer einer gut bewachten Straße und einem angerosteten Hallengerüst im Nirgendwo ist allerdings Nichts zu sehen. Aber es ist ja auch noch ein ganzes Jahr Zeit!
Nach mehreren Telefonaten und emails hat sich auch der weitere Reiseverlauf bis zur Verschiffung nach Hamburg konkretisiert - die To-Do-Liste wird von Stunde zu Stunde länger! Damit stehen auch weitere Ecktermine und ich muss mich tatsächlich mit dem Gedanken anfreunden, Marokko langsam Lebewohl zu sagen. Trotzdem will ich durch den Norden des Landes nicht nur 'rasen'!
Wüsste ich was ich heute weiß, hätte ich mich wahrscheinlich für die 'Rasen'-Variante entschieden und wäre noch zwei Wochen länger im Süden geblieben! So schlägt am 21. Januar endgültig die Stunde des Aufbruchs gen Norden. Bis Marrakech auf der anderen Seite des Bergpasses sind es gerade mal 200 Kilometer, bleibt genügend Zeit für einen Abstecher über Ait Benhaddou, die einzige "Kasbah", die unter UNESCO-Schutz steht. Die alte Stadt mit ihren verwinkelten Lehmbauten liegt wirklich malerisch am Ufer des Flusses Asif Ounila und braucht den UNESCO Schutz dringend. Allerdings wird - trotz immenser Geldmittel - herzlich wenig restauriert und ein Großteil der Anlage ist schon arg in Mitleidenschaft gezogen! Zumindest die eifrigen Händler können sich vom Ruhm etwas abzwacken!
Das Vallé Asif Ounila wird noch weit malerischer, je weiter man ihm in die Berge folgt. Bei Telouet zeigt sich nochmals eine ähnlich gut erhaltene Kasbah, allerdings ohne internationalen Schutz. Dafür ist sie weit besser in Schuss!
Nach gefühlten zweitausend Kurven ist endlich die Passhöhe erreicht: der Tizi-n-Tichka auf immerhin 2260m Seehöhe. Die große Trennungslinie zwischen dem Süden und dem Norden des Landes, in dem sich nicht nur die Temperaturen so markant unterscheiden! Die Schneefelder oben - für europäische Verhältnisse winzig klein - sind eine Sensation für viele Einheimische, die zum Teil lange Anfahrten auf sich nehmen, um einmal echten Schnee in den Fingern zu halten. Den Spaß einer Schneeballschlacht haben auch sie schnell erkannt!
Schneller als erwartet ist die weite Ebene von Marrakech erreicht. Plötzlich reiht sich ein Dorf ans andere, saftiges Grün und bewirtschaftete Äcker allenthalben! Die Bewohner gehen ihrer Arbeit nach, haben nicht mal Zeit für einen kurzen Wink an den Durchreisenden - was im Süden völlig undenkbar war!
Die Suche nach einem erträglichen Nachtplatz abseits des Straßenlärms wird zum Fiasko. Kaum habe ich einen ebenen Platz zwischen den Äckern entdeckt und die Abendsuppe auf dem Feuer, kommt der Chef des benachbarten Dorfs auf seinem Moped angetuckert und versucht mir etwas verständlich zu machen. Sein Französisch ist genauso schlecht wie mein Arabisch, irgendetwas mit "verboten" glaube ich herauszuhören. Aber was soll verboten sein am Parken auf freiem Feld? Da er nicht locker lässt, klemme ich mich kopfschüttelnd hinters Lenkrad und rolle weitere fünf Kilometer den Feldweg entlang.
Nach einer Stunde hat er mich auch dort aufgestöbert und sogar Verstärkung organisiert. Doch auch zu zweit können sie mir nicht plausibel machen, was Sache ist. Mit Puls 180 suche ich ein weiteres Mal das Weite, diesmal zehn Kilometer. Da finden sie mich ganz sicher nicht!
Denkste! Wieder eine Stunde später reißt mich das vehemente Klopfen der Gendarmerie aus dem ersten Schlaf. Nach eingehender Überprüfung der Personalien versuchen sie mir klarzumachen, dass es viel zu gefährlich ist, hier draußen zu stehen. Auf dem Land! Ich soll doch 'bitteschön' in die Stadt fahren und am besten gleich neben der Polizeiwache schlafen! Zumindest sind die Gendarmen freundlich und sprechen etwas Englisch! Ich versuche ihnen zu erklären, dass ich seit zwei Monaten nirgends anderes nächtige, als außerhalb der Städte, diesmal schütteln sie ihrerseits verständnislos die Köpfe! Schließlich schwinge ich mich doch wieder auf den Bock und finde mitten in der Nacht in der ersten Seitenstraße Marrakechs einen scheinbar ruhigen Platz.
Warum ich partout nicht auf dem Land campieren sollte, ist mir bis heute nicht klar. Wollten sie da wirklich einen unbedarften Touristen vor den bösen Menschen Marokkos schützen oder hatten sie eher Angst vor dem Touri in seinem ungewöhnlichen Fahrzeug? Ich tendiere eher zur zweiten Variante.
Der Muezzin der Moschee nebenan weckt mich pünktlich um halb sechs. Schlaftrunken klemme ich mich hinters Lenkrad und rolle die letzten Kilometer nach Marrakech. Dort führen alle Wege zum Dejema el Fna, dem weltbekannten Platz der Toten (so die Übersetzung), der Gaukler und der Fressbuden. Keine zweihundert Meter entfernt gibt es sogar einen Parkplatz für mich, dessen Wächter sich die zentrale Lage aber buchstäblich vergolden lässt. Einhundert Dirham (zehn Euro) kostet die Nacht, dazu gibt's Verkehrslärm und dem Muezzin der Koutoubia-Moschee nebenan als Gratiszugabe!
Kaum fertig eingeparkt, setzt der Regen ein ... und was ich von einer Stadtbesichtigung bei strömendem Regen erwarten kann, weiß ich noch aus Meknes: Nichts! Auch abends ist der sonst so quirlige Platz Djema el Fna fast ausgestorben und erwacht erst am nächsten Morgen, als der Regen aufhört und die Menschen wieder nach draußen strömen.
Die Souks und die Medina beeindrucken mich gar nicht mehr, sie sehen aus wie in Meknes oder Fez oder anderswo. Die Händler sind merklich arroganter und versuchen, mich in jedes Geschäft zu zerren. Die Preise sind deutlich höher als anderswo und aufs Handeln wollen sich die 'Händler' gar nicht einlassen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, der Tourist soll hier in erster Linie abgezockt werden - krasser und unverfrorener als sonstwo im Lande. Trotz langer Shoppingliste kehre ich mit leeren Händen zurück!
Versinkt die Sonne hinterm Horizont erwacht der Djema el Fna erst so richtig zum Leben. Gaukler und Tänzer. Schlangenbeschwörer und Geschichtenerzähler. Fressbuden und Süßwarenverkäufer. Es ist schon ein beeindruckendes Gemisch, das man gesehen haben muss. Den geheimnisvollen Bann, den ich vor 35 Jahren spürte, als ich mich hier zum ersten Mal unter die Menschen mischte, den freilich, findet man nicht mehr! Da kann die UNESCO das Treiben noch so sehr unter Schutz stellen!
Mit Sonnenuntergang machen die unzähligen mobilen Verkaufsstände den kulinarischen Fressständen Platz. Da wird unter freiem Himmel alles zubereitet, was irgendwie essbar erscheint. Vieles schaut halbwegs genenießbar aus - sogar für den westlichen Gaumen - aber um Dinge wie 'gebratenes Rinderhirn' oder 'gegarten Schafskopf' mache ich dann doch lieber einen Bogen!
Was es in Hülle und Fülle gibt - tagsüber genauso wie abends - das sind Stände für Orangensaft - die stehen aufgereiht wie Perlen auf der Gebetskette. Das Glas frisch gepresst für 35 Cent! Einheitspreis, Handeln nicht möglich! Da jeder zweite Baum in Marrakech voller erntereifer Orangen hängt, ist auch der Preis noch happig! Trotzdem stocke ich meinen Vitamin-C-Spiegel gehörig auf.
Etwas ulkig finde ich die arabische Philosophie über das 'Shop-Sortiment'. Nicht nur bei den O-Saft-Ständen, die alle exakt das gleiche anbieten: Orangen, Pampelmusen oder Zitronen. Kein einziger, der - sagen wir - Mango feilbietet, oder Ananas. Einfach Fehlanzeige! In den Souks ist das nicht anders: da reiht sich ein Gemischtwarenladen an den anderen, vielleicht zehn Läden innerhalb von hundert Metern. Alle bieten exakt das gleiche Sortiment an - und alles zum gleichen Preis! So etwas kann doch nicht staatlich verordnet sein, oder? Von 'Marktwirtschaft', in der man sich von seinem Mitbewerber irgendwie unterscheiden muss, um gute Geschäfte zu machen, hat man hier offenbar noch nichts gehört.
Der nächste Morgen bietet noch Zeit für die Besichtigung des Palasts El Bahia, bevor mittags die großen Touri-Omnibusse kommen. Mit seinen Fliesen-, Stuck- und Holzintarsien macht er trotz seines Alters von über dreihundert Jahren seinem Namen (der Schöne) alle Ehre. Mit gerade mal zehn Dirham (neunzig Eurocent) ist der Eintritt - wie bei den meist staatlichen Museen - höchst erschwinglich.
Danach kann ich noch ein paar Sehenswürdigkeiten entdecken, die in keinem Reiseführer zu finden sind: Luxushotels mitten in der Stadt, allen voran das Al Mamounia. Solange nicht gerade irgendein 'Schlipsträger' zu Besuch und das ganze Hotel hermetisch abgeriegelt ist, kann man ohne weiteres 'reinmarschieren und die Arbeiten der modernen Architekten und Ornamentkünstler bestaunen. Hinter den Residenzen der Herrscher von damals brauchen sich diese Paläste für die Touris von heute wahrlich nicht verstecken! Dabei sind sie überwiegend nicht in der Hand des Staates, heißt, sie werden nicht nur gebaut, sondern auch gepflegt und tadellos in Schuss gehalten!
Die größten Sehenswürdigkeiten der Stadt, die Moscheen und Medersen der Stadt bleiben dem 'Ungläubigen' wieder einmal verschlossen! Auch von der größten und bekanntesten, der Koutoubia-Moschee - auf Grund ihrer architektonischen Eleganz Vorbild für zahlreiche andere Moscheen weltweit - kann man nur das Äußere bestaunen und wünscht sich, dass sie auch so gut in Schuss gehalten werden würde wie die meisten ihrer Kopien! Was bleibt, ist, ein letztes Mal durch die Souks zu schlendern, dann kann ich der Stadt, die mir gar so wenig Willkommen entgegenbringt, wieder den Rücken kehren.
Vorher muss ich aber noch dem König zuwinken! Auf der Stadtrundfahrt hat mich der Bahnhof beeindruckt und ich will ein paar Bilder von dem Prachtbau schießen, der gerade seinen fünfzigsten Geburtstag feiert. Aber was ist da los? Hunderte von Menschen am Straßenrand? Überall marokkanische Fahnen. Gendarmerie. Militär. Straßensperren. Ich will doch nur ein Bild vom Bahnhof, so viel Aufwand hätte es wirklich nicht gebraucht!
Nach ein wenig Warterei ist der Grund klar: Seine Hoheit König Mohammed VI höchstpersönlich wird erwartet! Und da kommt er auch schon gefahren. Durchs runtergekurbelte Fenster winkt er seinen Landsleuten zu. Mir besonders herzlich, ich sehe es genau! Sicher weiß er, dass sein Mercedes 450SL aus Deutschland stammt! In zwei Sekunden ist alles vorbei, die Straßensperren werden aufgehoben, Polizei und Militär dürfen wieder abrücken. Trotzdem bleiben alle hochgradig nervös. Schließlich ist der König jetzt in ihrer Stadt. Um ein Haar werde ich verhaftet, als ich doch noch ein Bild vom Bahnhof mache (ohne Jubilanten und ganz ohne Kini!)
Nein, diese Stadt mag mich nicht!
Sonntagmorgen erstickt die Stadt völlig im Verkehrschaos. durch den gerade stattfindenden Marrakech-Marathon wird das nicht gerade gelindert. Hupen, Drängeln, Schneiden, Überholen trotz Verbot ist ja normal - wie in jeder Stadt Marokkos. Doch so rücksichtslos wie heute habe ich es noch nicht erlebt. Um jeden Zentimeter Straße wird gekämpft, als ob es ums nackte Überleben geht. Und an der Kreuzung stehen dann doch alle, weil gar nichts weitergeht. Straßensperre! Diesmal sogar sinnvoll, damit die Marathonläufer nicht über den Haufen gefahren werden!
Am frühen Nachmittag habe ich schließlich die letzte Straßensperre hinter mir. Ein vierspuriges Teerband verabschiedet mich aus der Stadt, wird aber schnell schmäler, als ich in die Berge des Mittleren Atlas abbiege. Im Windschatten des Gebirges hat schon der Frühling Einzug gehalten, die Obstbäume zeigen ihre Blüten und so manche sonst ausgedörrte Wiese zeigt sich in frühlingshafter Blütenpracht. Die Landschaft erinnert mich an die schottischen Highlands, sanft geschwungene Hügel und dunkelgrüne Wiesen. Niederes Gestrüpp und manch kleiner, blauer See. Je weiter ich Richtung Norden rolle, desto grüner wird das Land! Karge Wiesen werden zu saftigen Viehweiden, dürres Gestrüpp zu meterhohen Bäumen, karger Sandboden zu fruchtbarem Löß.
Und wo kommt das viele Wasser für's Grün her? In der Nacht zu Freitag wird's klar: es regnet wie aus Kübeln, morgens fällt dichter Graupel und das Thermometer hält sich mühsam über dem Gefrierpunkt. Nachmittags steht das Land im wahrsten Sinne des Wortes 'unter Wasser'. Riesige Pfützen auf den Feldern und Straßen, die Straßengräben verstopft und überschwemmt. Der ganze rote Brei ergießt sich über die Straße, innerhalb weniger Kilometern schaut die Lady Grey aus wie Lady Schwein. Es ist zwar der dreißigste, aber noch ist Januar und damit der niederschlagsreichste Monat des marokkanischen Kalenders!
Langsam werde ich mich wohl auf 'heimische' Zustände umstellen müssen!
Der Besuch in Rabat, der vierten und modernsten der Königsstädte Marokkos - und derzeit seine Hauptstadt - verläuft ähnlich feuchtkalt und rundet so den europäischen Eindruck, den die Stadt beim Besucher hinterlässt aufs Passendste ab. Seit 2011 fährt hier sogar eine Straßenbahn - richtig modern und superleise - und die Straßen in der Medina sind alle planmäßig und rechtwinklig angelegt. Wie soll denn da afrikanisches Flair aufkommen?
Trotz stark europäischem Einschlag gibt's in der Medina Teppichläden, und das nicht zu knapp! Sprichwörtlich in allerletzter Minute (vor dem Freitagsgebet) kann ich den seit Monaten gesuchten Teppich für die Lady Grey ergattern. Nicht gerade ein Schnäppchen (1200 Dirham, ca. 110 Euro) und das Handeln ist in fünf Minuten erledigt, aber sicher seinen Preis wert! Nun gibt's beim Nachmittagskaffee in der Lady wenigstens keine kalten Füße mehr!
So bildet Rabat für mich den (krönenden?) Abschluss der Marokko-Etappe. Wenigstens konnte die Stadt das Bild vom chaotischen, neurotischen, wenig reisefreundlichen Norden Marokkos zum Großteil wieder geraderücken. So werde ich Jens' und Marias Einschätzung des Landes doch nicht ganz teilen können!
Marokko ist für mich - trotz einzelner nicht ganz so toller Erlebnisse - ein Reiseziel erster Sahne. Das Land hat allein durch seine Größe, aber auch durch seine Lage an der Schnittstelle mehrerer Kulturen unheimlich viel zu bieten! Hier treffen sich Orient und Okzident, die Enge Europas mit der endlosen Weite der größten Wüste der Erde. In diesem Spektrum ist für Jeden etwas dabei! Natürlich müsst ihr euch auf die andere Kultur der Menschen, auf ihre Sitten und Gebräuche einstellen. Diese 'Weisheit' gilt aber doch für jedes Reiseziel, auch wenn ihr nur in den Bayerischen Wald fahrt! Das Gros der Marokkaner ist außerordentlich gastfreundlich, interessiert an Europa und durch ihre lange 'Verbundenheit' mit Frankreich auch an 'fremde' Gepflogenheiten gewohnt. Das heißt aber nicht, dass wir (die Europäer) diese auch immer offen ausleben sollten! Schließlich sind wir Gast in einer fremden Kultur!
Auch als Winterquartier kann ich Marokko wärmstens empfehlen, allerdings solltet ihr euch (a) an den Süden des Landes halten und (b) nicht in Februar schon wieder Termine in der (kalten) Heimat vornehmen! Die Kosten der Lebenshaltung hier sind deutlich geringer als in der Heimat - selbst wenn ihr häufig etwas mehr berappt als die Einheimischen. Seid ihr so unstete Gesellen wie meinereiner, solltet ihr euch vielleicht nach einem Winter ein neues Ziel suchen; die wirklich sehenswerten Dinge des Landes sind in einem Winter locker 'abgegrast'!
Und wenn ich die Wahl hätte zwischen Norden und Süden, würde ich mich einstimmig wieder für den Süden entscheiden, genauer für den 'kleinen Süden', also für die Region der Berber: zwischen dem Hohen Atlas und der algerischen Grenze. Die Region weiter im Süden (Westsahara) mag wohl klimatische Vorteile bieten, die dortige Art der Wüste (Regebenen) muss man aber ganz besonders mögen. Viel mehr gibt's dort nämlich nicht!
In den nächsten Tagen werde ich noch die restlichen Kilometer nach Tetouan und Bab Septa/Ceuta rollen, wo uns die Fähre wieder ins 'gute alte' Europa schleudern wird.
Vor diesem Kulturschock graust mir heute schon!
Abschließend noch die Zahlen für die Freunde der Statistik:
Aufenthaltsdauer: | 80 Tage | ||
Gefahrene Kilometer: | ca. 6000 km | ||
Spritkosten: | ca. 1100 Euro | ||
Fährkosten (hin- und zurück): | ca. 250 Euro | ||
KFZ-Versicherung: | ca. 180 Euro | ||
Lebenshaltungskosten: | ca. 600 Euro | ||
Übernachtungskosten: | ca. 105 Euro |