Beim Erg Chebbi (Marokko) (GPS: 31°13,947'N; 004°05,568'W)
Endlich hat der Sandsturm nachgelassen. Die Sonne klettert hinter dem Horizont hervor und wirft lange Schatten. Die Anzeige meiner Wetterstation zeigt gerade mal 2° Celsius. Plus, immerhin. Das war auch schon weniger! Trotz der Temperaturen lasse ich mir das leckere Frühstück draußen schmecken. Wozu gibt's Fleece und warme Socken?
Ich fühle mich zu Hause. Mehr als irgendwo in Europa. Hier in der Wüste. In den Ausläufern des Erg Chebbi östlich von Rissani. Im Südosten Marokkos, nicht weit von der algerischen Grenze (die man seit Jahrzehnten nicht passieren kann) entfernt.
Die 130 Meter hohen, roten Dünen des Erg Chebbi sind ein paar Kilometer entfernt. Zu gerne hätte ich mein Nachtlager dort, direkt an den Dünen aufgeschlagen! Aber der Tourirummel war nicht auszuhalten. "Like Camel for Safari? Cheap, very cheap! Mister!" darf ich mir mehr als einmal anhören. Keiner kann verstehen, dass ich in der Wüste - besonders in der Wüste - zu allererst allein sein möchte. Zu mir selber finden. Die Leere auf mich wirken lassen. Die Prioritäten des Lebens wieder ins Lot bringen!
Sven Hedin hat recht ... Im dritten Anlauf finde ich diesen netten Flecken Wüste. Vielleicht noch interessanter als die roten Dünen! Von der aufgelassenen Piste nicht einsehbar, trotzdem mit der schweren Lady Grey problemlos zu erreichen. Keine Reifenspuren weit und breit, keine verlassenen Lagerfeuer, keine Plastiktüten. Nur ein paar Kamelspuren hatte ich vor dem Sandsturm entdeckt. Inzwischen sind auch sie nicht mehr zu erkennen.
Stille, die man hören kann! Stille, an die ich mich erst wieder gewöhnen muss. Kein Hupen. Kein Radio, das dauernd dudelt, kein Werbespot. Kein Hund, der irgendwo bellt. Kein Dröhnen der Autobahn. Wenn zweimal am Tag ein Geländewagen die aufgelassene Piste zum Erg Chebbi entlangrumpelt ist das nur ein leises Brummen in der Ferne. Ich empfinde es fast als Ruhestörung!
Der rechte Ort zum Abschalten. Zum Erholen. Zum Kraft tanken für die nächsten Etappen. Zum Planen. Zum Reflektieren. Zum Entscheiden, was mir wichtig ist. Zum Phantasieren. Die Gedanken schweifen lassen.
Auch Zeit zum Tagebuch schreiben!
Ihr merkt schon: hier fühle ich mich wohl! Eben wie zu Hause: das fängt schon an der Grenze oben in Ceuta an, wo es eine Stunde "Anstehen und auf Stempel warten" heißt, das geht beim morgendlichen Weckruf des Muezzin der Moschee von nebenan weiter (falls ich mal in der Stadt campiere), in den verwinkelten Souks von Chefchaouen, Meknes oder Fez-el-Jedid, wo das Gewirr verwinkelter Gassen mich gefangen nimmt, und das hört in den Weiten der nördlichen Sahara noch lange nicht auf!
Als ich am
Place Uta el Hammam in
Chefchaouen
in der Teestube sitze, dem farbenfrohen Treiben in den Souks zuschaue und mir den ersten
Pfefferminztee [MAR]Pfefferminztee
schmecken lasse, spüre ich es ganz deutlich, was mir in den letzten Jahren fehlte:
Afrika!
Der Kontinent, der mich vor genau 35 Jahren in seinen Bann schlug und mich seither nicht mehr loslässt.
Der Kontinent, der mein Leben veränderte!
Erinnert Ihr Euch, damals, die erste Tour mit dem Mini-Cooper? 1978? In die Sahara?
Da war ich auch hier in
Merzouga
gewesen, an den Dünen des
Erg Chebbi.
hatte mich festgefahren.
Danach war ich ja bei jeder Gelegenheit in der Wüste gewesen.
Fast jeden Urlaub hab' ich in Afrika verbracht, die meisten in der Sahara.
Bis ich irgendwann glaubte, sesshaft werden zu müssen. 17 Jahre - oder so - ist das nun her.
Inzwischen weiß ich's besser!
Wie sagte schon
Sven Hedin [MAR]Sven Hedin?
"Jeder Mensch braucht dann und wann ein bisschen Wüste!"
Wie recht er hat! Aber nun bin ich ja wieder da.... zu Hause!
Städte des Nordens Die Grenze bei Ceuta - bzw. Bab Sebta, wie es die Marokkaner nennen - kann ich zwar in dem gewohnten Chaos, aber völlig problemlos hinter mich bringen. Vieles hat sich hier seit meinem letzten Besuch verändert, allem voran ein 30 Millionen Euro teures Bollwerk aus Stacheldraht und Zaunanlagen, das Europa vor den Strömen von Zuwanderern aus Afrika schützen soll. Der marokkanische Zöllner - ein älterer Herr in schmucker Uniform - begrüßt mich dann "Herzlich Willkommen in Marokko" (auf Deutsch), wirft nur einen flüchtigen Blick in mein Wohnzimmer und wünscht mir gleich darauf "Gute Fahrt!" Welch ein Einstand! Wenige Meter weiter muss ich die obligate Haftpflichtversicherung fürs Auto abschließen. Knapp 300 Euronen für 3 Monate reißen ein großes Loch in die Reisekasse! Warum? Weil meine Heimatversicherung - die HUK-Coburg - den Grünen Versicherungsschein für Marokko verweigert. "Das Risiko kann nicht abgedeckt werden, dort fahren ja alle wie die Henker!" O-Ton Versicherungsschreiben! Nun gut - dafür ist der Sprit hier nicht so teuer, der Liter Diesel schlägt nur nicht mal 90 Cent zu Buche!
Welch ein Unterschied: Kaum stehe ich auf der marokkanischen Seite der Grenze, sind Straßen und Dörfer plötzlich blitzsauber. Keine Plastiktüte im Rinnstein. Nicht eine. Papierkörbe allenthalben, die von fleißigen Händen regelmäßig geleert werden. Straßenfeger, die das letzte Häufchen Dreck aufsammeln. Die Grünanlagen gepflegt, bewässert und voller bunter Blumen. Keine irgendwann angelegten und dann sich selbst überlassenen Beete wie ich sie häufig in Spanien gesehen habe! Allenthalben weht die leuchtend rote Fahne Marokkos, auch hier keine verschlissenen Wimpel, sondern alles pieksauber und gepflegt. So als ob morgen der König zu Besuch kommen wird, doch das ist nicht der Fall! Nur hat er wohl seinen Landsleuten ins Gewissen geredet und einen Aktionsplan gegen den früher allgegenwärtigen Abfall gestartet, der von den Menschen auch eifrig umgesetzt wird. Ein König, der etwas tut für sein Land!
Auch den Autofahrern muss er wohl ins Gewissen geredet haben, denn die fahren zivilisierter und überlegter als mancherorts in Südeuropa. Das trotz ihrer Autos, die zum Großteil schon arg in die Jahre gekommen sind! Selbst von den Fahrern der Petite Taxis (Kleinwagen mit bis zu 3 Fahrgästen) und der Grande Taxis (meist Mercedes 220D mit bis zu 8 Fahrgästen) könnten sich unsere Taxler eine Scheibe abschneiden!
Kurz hinter Tetouan, einer Berberstadt am Nordrand des Rif-Gebirges lassen die Sauberkeit und die guten Straßen ein klein wenig nach, doch immer noch ist alles in gutem Zustand. Die Stadt hebe ich mir für die Rückreise auf und rolle gleich in das beschaulichere City. "Die blaue Stadt" wird Chefchaouen - die Partnerstadt von Cádiz - auch genannt, wegen Ihrer in allen Blauschattierungen gestrichenen Hauswände. Sicher ein tolles Mittel, die Stadt nicht nur ansehnlicher, sondern im Sommer auch kühler zu gestalten.
Die Stadt liegt malerisch auf einem Hügel und die Medina - die Innenstadt - ist so übersichtlich, dass man sich kaum verlaufen kann. Das Schlendern durch die schmalen, sauberen Gassen macht Spaß - ab und an ein Blick in einen kleinen Laden voller handgewebter Teppiche, kunstvoll verzierter Djelabbas und Kaftans oder Hauslatschen in leuchtenden Farben. Dazu nette Ladenbesitzer, die dem ahnungslosen Touri keinen völlig überteuerten Teppich oder nutzlosen Tand zu horrenden Preisen andrehen wollen.
So macht Bummeln und Shoppen Spaß! Ich bin beeindruckt! Hat etwa auch hier der König seinen Leuten ins Gewissen geredet? Chefchaouen ist jetzt nicht gerade die Touristenhochburg, aber auch später in ´ Meknes und Fez-al-Jedid das gleiche Bild: freundliche, hilfsbereite, unaufdringliche Menschen. Kein Nepp! Keine Touri-Abzocke - wenn man sich nicht abzocken lassen will! (Die Leute hier in Merzouga lassen wir mal außer Acht) .
Chefchaouen liegt im Rif-Gebirge auf etwa 1800m Höhe. Die Nächte sind kalt und morgens zieren Eiskrusten die Pfützen auf dem netten Campingplatz oberhalb der Stadt. Die Stadt lädt auch ein zur Besteigung des Jebel Tisouka (2050m), doch um diese Jahreszeit ist kein Führer aufzutreiben. Bleibt nur ein Ausflug auf die Hügel ringsum mit tollen Blicken auf die 'blaue Stadt'.
Auf der etwas welligen 'N13' geht's weiter gen Süden, durch die fruchtbare Ebene des Qued Querrha mit zahllosen Oliven- und Orangenbäumen zur wohl bekanntesten Außenposten der Römer in diesen Breiten: Volubilis.
Die Stadt wurde ca. 300 v.u.Z. noch von den Phöniziern angelegt und erhielt um 42 u.Z. das römische Stadtrecht. Es war wohl keine arme Stadt! Trotz UNESCO-Unterstützung ist das riesige Areal noch nicht einmal zur Hälfte ausgegraben. Aber auch dieser Teil kann sich durchaus sehen lassen: Säulen und Bögen, gepflasterte Straßen, ansehnliche Häuser mit Fußbodenheizung (war's damals auch schon so kalt?), ein Dutzend Mühlen zur Gewinnung von Olivenöl. Und überall Fußbodenmosaiken! Exotische Tiere und Pflanzen, Fabelwesen und Heilige, Götter und Nymphen. Manch Abbild hat allerdings unter muslimischen Bildzerstörern arg gelitten.
Das moderne Museum gleich nebenan ist noch immer im Aufbau begriffen, die wertvollsten Funde gibt's daher nur im Nationalmuseum in Rabat zu bestaunen. Schade!
Regen in der Wüste [MAR] Von den Ruinen ist's nur ein Katzensprung hinüber nach Meknes, der ersten der vier Königsstädte, die ich mir ansehen möchte. Allerdings erhebt schon am ersten Abend Petrus Einwände und öffnet die Himmelsschleusen, dass zwei Tage lang an keine Besichtigung zu denken ist. "Die Souks sind ja alle überdacht" denke ich mir, und stiefle trotzdem los. Schnell werde ich eines Besseren belehrt: die Dächer taugen nur als Sonnenschutz, dem strömenden Regen haben sie nichts entgegenzusetzen! Triefnass stapfe ich nach einer halben Stunde durch seengleiche Pfützen zurück zur trocken Lady Grey.
Auf Regen ist dieses Land nicht eingestellt! Meknes scheint in den Fluten zu ertrinken, es fahren kaum noch Busse und Taxis und die Medina ist - für marokkanische Verhältnisse - menschenleer. Später höre ich, dass es sogar unten in der 'richtigen' Wüste heftig geregnet hat - zum ersten Mal seit über drei Jahren! Die Oasenbewohner wirds freuen.
Souk in Marokko [MAR] Montagmorgen ist der Spuk so schnell vorbei wie er gekommen war. Die Sonne scheint vom strahlend blauen Himmel - und in den Souks wimmelt es wie immer vor Menschen. In der Medina - der engen und verwinkelten Altstadt - das gleiche Bild wie in Chefchaouen: Läden über Läden, kaum einer über 3 Meter breit und 5 Meter tief. Vollgepackt mit Waren: sei es frisches Obst oder leckere Süßigkeiten, reich verzierte Kaftans oder schwarze Lederschuhe, bunte Teppiche oder filigrane Schnitzereien, frische Eier oder lebende Hühner. Überall wird gehandelt und gefeilscht. Marokkanerinnen mit Plastiktaschen in jeder Hand eilen von Stand zu Stand: frisches Mittagessen für die Lieben daheim. Schwer beladene Esel schlängeln sich durch die Menschen-trauben, Mopeds tun es ihnen laut knatternd gleich. Dreirädrige Mopeds und meterhoch beladene zweirädrige Karren bringen Nachschub auch zum verstecktesten Laden.
Die Königspaläste sind dagegen etwas enttäuschend: entweder darf man gar nicht hinein, darf nicht fotografieren oder das Gemäuer ist so runtergekommen, dass es eines Königs nicht würdig ist. Was allerdings ins Auge sticht, sind die hohen Mauern, die nicht nur die Anwesen des Königs, sondern auch viele normale Stadtviertel umgeben. Und noch etwas sticht ins Auge: das Mausoleum von Moulay Ismail: eine prächtige, mit Marmor- und Holzschnitzereien verzierte Eingangspforte, dahinter weite, reich mit Fliesen verzierte Innenhöfe - und schließlich ein abgeschlossener Raum, den nur Moslems betreten dürfen: die Grabkammer von Moulay Ismail.
Moulay Ismail war einer der bedeutendsten Herrscher Marokkos und ernannte im 17. Jahrhundert Meknes zu seiner Hauptstadt. Daher auch der Beiname "Königsstadt". Seine zahlreichen Bauwerke hätten inzwischen allerdings ein wenig Pflege nötig!
Trägt ihren Namen zu Recht: die Königsstadt Fez Gerade mal 60 Kilometer sind's hinüber zur zweiten Königsstadt, in deren Schatten Meknes lange stand: Fez-el-Jedid, kurz Fez genannt. Fez ist die älteste der Königsstädte, so um 800 von Ismail II gegründet, nachdem seinem Vater, Ismail I. die alte Hauptstadt Oualili bei Volubilis zu klein und wohl zu mickrig geworden war. Nach dem Zuzug vieler Spanier (während der 'Reconquista') und Tunesier (aus Kairouan blühte Fez dann so richtig auf.
Heute ist sie dabei, Marrakech den Rang als die In-Metropole Marokkos abzulaufen. Die Medina quillt über vor modernisierten Gästehäusern und die alteingesessenen Fassi sind froh, Ihre engen und ungemütlichen Altstadthäuser an fremde Investoren zu verkaufen und selbst in die modernen Villen in Fez Nouveau umzuziehen. Nach wie vor aber ist das Leben in der Medina quirlig und so arabisch wie eh und je.
Versteckt zwischen all den unscheinbaren Häusern und in verwinkelten, kaum mannsbreiten Gassen finden sich dann wahre Schätze wie das Nejjarine-Museum für Holzkunst oder die Medersa Bou Inania. Das Museum kann man - gegen mäßigen Eintritt - gerne besichtigen, das Fotografieren der Ausstellungsstücke ist aber aus unerfindlichen Gründen verboten. Die Medersa - eine Koranschule - ist allerdings den Moslems vorbehalten!
Die Kairouine-Moschee ist eine der größten Moscheen Afrikas und die angeschlossene Universität eine der ältesten der Welt. 'Ungläubige' wie unsereins können - leider - beide nur von außen bewundern, obwohl sich die wahren Schätze erst hinter den unscheinbaren Außenmauern auftun.
Gerbereien in Fez [MAR] An einem ganz besonderen 'Highlight' kommt man im Fez beim besten Willen nicht vorbei: an den Gerbereien! Was dort an Fellen und Tierhäuten verarbeitet wird, das geht wahrlich auf keine Kuhhaut! Tagein, tagaus tragen schwer beladene Mulis die gefärbten und gegerbten Felle zu den Hügeln außerhalb der Stadt zum Trocknen. Wenigstens das Trocknen wurde vor die Stadttore verlagert, denn sonst wäre der Gestank nahe den Gerbereien gar nicht mehr auszuhalten.
"Empfindlichen Besuchern wird ein Pfefferminzblatt unter die Nase gehalten, damit sie nicht in Ohnmacht fallen." steht im Reiseführer. Doch ganz so schlimm ist es auch nicht mehr! So ganz 'ohne' ist die Geruchskulisse allerdings auch nicht. Verglichen mit meinem letzten Besuch aber haben sich schon ein paar Kleinigkeiten verbessert: damals nahm einem der Gestank wirklich den Atem und ich wäre um ein Pfefferminzblatt froh gewesen!
Auch viele Gerber - die meisten sind nicht älter als dreißig - waten inzwischen in Anglerhosen - sprich lendenhohen Gummistiefeln - im Färbesud herum, und nicht mehr mit bloßen Beinen. Außerdem, so erklärt mir der Führer, werden nur noch natürliche Farbstoffe verwendet! Henna für Rot und Safran für Gelb, um zwei Beispiele zu nennen. "Warum tragen Eure Mulis dann säckeweise andere Chemikalien heran?" Darauf schweigt der sonst so redselige Führer.
Jedenfalls würde ich für keinen Preis der Welt diesen Job machen wollen! Trotzdem sind gerade diese Leute stolz darauf, den Knochenjob erledigen zu dürfen. Vermutlich haben viele gar keine Alternativen!
Willkommen im 1000-Sterne-Hotel! Mangels Alternativen meinerseits wählte ich bislang den Camping in Chefchaouen oder die belebten Plätze Place el Hedjim in Meknes bzw. den Place de Baghdadi in Fez als Nachtquartier. Der Camping war ok, die beiden anderen laut und schmutzig. Aber Alternativen waren rar ... Alle Plätze waren hell erleuchtet, zum Sternegucken keine Chance. Dabei hatte ich mich darauf so gefreut! Das sollte ab sofort anders werden! Das mit dem Bezahlen für jede Nacht - trotz fehlender Infrastruktur - auch! Ab sofort werde ich mich so weit weg von Camping- und Parkplätzen halten wie irgend möglich! Das erste tolle Plätzchen finde ich schon am Abend nach der Abfahrt aus Fez.
Philosophie Nachtplatzsuche [MAR] "Von der Hauptstraße auf eine Nebenstraße, dort nochmals auf eine Neben-Nebenstraße und dann irgendwo 'nen netten Platz suchen!" Das Rezept hat bislang noch immer geholfen! So stehe ich am Abend nahe dem Dayet Ifrah, einem kleinen, flachen See am Nordhang des Mittleren Atlas. Normalerweise ist er weitgehend ausgetrocknet, doch die Regenfälle der letzten Tage haben ihn gut gefüllt. Die vielen Zugvögel, die hier entweder rasten oder überwintern freuen sich über das unerwartete Nass und wecken mich anderntags mit einem überaus lautstarken Morgenkonzert. Willkommen in der Natur!
In den noch kühlen Morgenstunden ist bald darauf Ifrane erreicht, ein Höhenkurort auf über 1600m Höhe, der sogar mit einem eigenen Schigebiet ('Mischliffen' am 'Jebel Hebri') aufwarten kann! Noch aber liegt kein Schnee und die Lifte rosten vor sich hin. Die Einheimischen kuscheln sich in ihre warmen Wollumhänge bzw. Daunenanoraks. Denn Ifrane ist auch eine der besten Universitätsstädte Marokkos, vergleichbar Oxford oder Cambridge im UK. Selbst der Unterricht soll hier in englischer Sprache abgehalten werden, weiß der Lonely Planet-Führer zu berichten.
Die Jungs und Mädels auf dem Weg zur Schule jedenfalls machen einen wacheren Eindruck als anderswo, viele grüßen mich im Vorbeifahren - ganz unarabisch auch viele der Mädchen. Die Häuser von Ifrane könnten genauso gut in der Schweiz stehen, weiße Ziegelwände, Walmdach, große Fenster, ganz wie in Mitteleuropa. Dazu ein sauber gepflegter, grüner Stadtpark mit Sträuchern und Bäumen, die ich eher in Deutschland oder der Schweiz erwartet hätte. Daher: noch einmal satt sehen am Grün! Es wird rar werden, wenn ich erst den Hohen Atlas überquert habe!
Vorher liegen aber noch 200 Kilometer auf recht passabler Straße durch Hochebenen bzw. sanfte Berglandschaften, entlang des seit Jahrhunderten genutzten Karawanenwegs von Timbuktu nach Fez. Der Höhenmesser pendelt zwischen 1500 und 2000 Metern! Kein Wunder, dass die Nächte weiter kühl bis 'saukalt' sind. Die Eisdecken auf den Seen oder Flüssen sind zwar nicht dick genug zum Schlittschuhlaufen, halten sich aber hartnäckig bis weit nach Mittag, bevor ihnen die Sonne den Garaus macht!
Oasen im Hohen Atlas [MAR] Mit dem Überqueren des Hohen Atlas bei Rich zeigt sich schlagartig eine neue Form der Ortschaften und eine neue Bauweise der Häuser: Die Häuser sind nun ausschließlich aus Lehm (vermischt mit dem Stroh der Felder) gebaut und die Ortschaften scharen sich um ein Ksar, ein großes, quadratisches Gebäude mit Wehrtürmen an jeder Ecke. Die fensterlosen, unseren Burgen nicht unähnlichen Ksour öffnen sich nur zum riesigen Innenhof und dienten zu Karawanenzeiten als Unterkunft und sicherer Platz für Tiere, Menschen und beförderte Waren. Heute sind viele Hotels in den Ksour untergebracht oder ihnen nachempfunden.
Die Häuser stehen ausnahmslos außerhalb des Flussgrundes, oft abenteuerlich an die steilen und felsigen Flussufer geklebt. Warum? Nun, der Flussgrund ist fruchtbar und viel zu schade, um darauf ein Haus zu bauen. Am Flussgrund wachsen - oft in drei Etagen und über ein ausgeklügeltes Kanalsystem bewässert - Gemüse, Getreide und Dattelpalmen. In guten Zeiten können die Oasenbauern bis zu drei Ernten pro Jahr einfahren, kein Wunder, dass sie hier im sogenannten Tafilalt nicht zu den Ärmsten zählen.
Der Fluss, der diesen Reichtum aus dem Hohen Atlas mit sich bringt, heißt Ziz. Und an den Gorge du Ziz - einer grandiosen Schluchtenlandschaft - ist endgültig das Tor zur Sahara erreicht! Mit einem Schlag weichen die Bergflanken zurück und machen einer schier grenzenlosen Ebene Platz, in die sich der Fluß viele Dutzend Meter tief eingefräst hat. Oben auf der endlosen steinübersäten Ebene ('Reg') nur Wüste, Ödnis, Trockenheit, Lebensfeindlichkeit. Unten im Tal Palmen, Felder, Dörfer, (bescheidener) Reichtum. Die einzige Straße - gleichwohl gut ausgebaut und durchgehend geteert, verläuft 'natürlich' oben!
Dass Wasser auch zum Fluch werden kann weiß ich von meiner allerersten Etappe in Deutschland (Elbe-Hochwasser). Hier in Marokko kam das Verderben bringende Wasser direkt von oben: 1968 fiel so starker Regen, dass er zahllose Lehmhäuser in Meski, einem kleinen Dorf südlich von Er-Rachidia völlig aufweichte und einstürzen ließ. Kurzerhand bauten sich die Bewohner ein neues Dorf auf der anderen Flussseite - diesmal mit gebrannten Lehmziegeln. Das alles erzählt mit Mahmoud, ein junger Mann, der mich unbedingt auf den Campingplatz an den Sources Bleue de Meski lotsen will. Aber er hat wenig Glück, ich werde meinem Vorsatz nicht schon in der dritten Nacht untreu werden! Trotzdem erzählt er mir manch Interessantes über seine Bilderbuch-Oase und die Menschen hier.
Über Erfoud, eine in den letzten Jahren mächtig gewachsene Stadt erreiche ich - dank Mahmoud ziemlich verspätet - das kleine Städtchen Rissani, das Sprungbrett zum Erg Chebbi, wo ich gerne meinen nächsten Nachtplatz beziehen würde. Trotz der absoluten Nebensaison ist der Trubel an den Dünen aber so groß, dass ich schnell wieder Reißaus nehme!
Der Sonnenuntergang will aber nicht warten bis ich ein hübsches Plätzchen gefunden habe! Um ein paar - vielleicht nette - Fotos schießen zu können, lenke ich die Lady Grey doch nahe an die Dünen heran, ohne vorher die Luft in den Reifen abzulassen, wie ich das früher ja gelernt habe. Was soll ich sagen: prompt gräbt sich die werte Dame im weichen Sand ein, der auf den ersten Blick eigentlich recht tragfähig aussah. Aber neun Tonnen sind eben neun Tonnen! Nicht das richtige Spielzeug für den großen Sandkasten!
Als die Bilder endlich im Kasten sind, finde ich auch Muße, die werte Dame wieder auszugraben und auf festen Boden zu chauffieren. Genug Abenteuer für heute, zehn Kilometer weiter südlich finde ich einen ruhigen Nachtplatz - ohne Graben und völlig ohne Tourirummel.
Dafür mit 1000 Sternen! Ganz wie ich es mir vorgestellt hatte. Keine Wolke trübt den nachtschwarzen Himmel, kein Streulicht irgendeiner Straßenlaterne. Nicht einmal der Mond lässt sich blicken. Tiefe, finstere Nacht! Schon fast zum Fürchten! Wären da nicht die Tausende funkelnder, glitzernder Sterne am Firmament. Da, der Große Wagen, dort die Cassiopeia. Sogar die Milchstraße kann ich in voller Breite bewundern!
Aber das sind doch mehr als eintausend Sterne! Ich fange an zu zählen, komme aber schnell durcheinander ... Lass es bleiben! Genieße den Anblick!
Hoffe, dass dir die Sterne auch auf den nächsten Etappen deiner langen Reise gewogen bleiben. Hier in Marokko gibt's ja auch noch viel zu sehen: großartige Schluchten am Südrand des Hohen Atlas, malerische 'Ksour' inmitten der Wüste, nette Menschen in abgelegenen Dörfern. Aber so richtig aufregend wird's im Frühjahr werden, wenn es jenseits des großen Teichs weitergeht. Den letzten riesigen weißen Fleck auf meiner Landkarte werde ich dann endlich mit Eindrücken füllen können: Kanada und Südamerika!