Liard River Hot Springs (Canada, British Columbia) (GPS: 59°25,572'N; 126°06,007'W)
"Bist Du schon gar?", fragen mich meine bayerischen Nachbarn. Seit einer halben Stunde liegen wir im 50 Grad heißen Thermalwasser der Liard River Hot Springs, waschen den Staub des Highways ab und lassen die Seele baumeln. Ein wirklich nettes Fleckchen Erde und eine willkommene Abwechslung von der Fahrerei. Dazu das i-Tüpfelchen auf einem zweifach feierträchtigen Tag:
- 400 Tage auf Achse und
- 40.000 Kilometer gefahren (einmal um die Erde).
Wenn das kein Grund ist, die Seele baumeln zu lassen und das heiße Wasser zu genießen!
Die schwefelhaltigen Quellen hier oben am Alaska Highway kurz vor der Grenze ins Yukon Territory sind wahrlich eine Wohltat! Die Anlage wurde komplett umgebaut, nun kann man in einem langgezogenen Becken seine Wunschtemperatur gradgenau auswählen: von 53°C ganz oben bis etwa 35°C unten am Auslauf. Am schnellsten gar wird man natürlich ganz oben!
Auch wenn das Wetter im Moment nicht der große Hit ist (gestern hat's fast ohne Unterlass geregnet und heute gibt's die hoffentlich letzten Schauer), entschädigt die abwechslungsreiche Landschaft und die angenehme Fahrerei bei wenig Verkehr für so manchen Regentropfen und Wolkenfetzen, der die Aussicht verhängt. Hinter jeder Biegung, hinter jeder Brücke tut sich ein neues Panorama auf. Der Muncho Lake, angeblich der schönste See in den nördlichen Rocky Mountains leuchtet zwar nicht im versprochenen Türkis (das gibt's nur bei Sonnenschein), aber auch ein tiefgrüner See hat seine Reize!
Ein paar Dutzend Kilometer weiter (nach hiesigen Verhältnissen also "gleich nebenan") kann man sich in der Northern Rockies Lodge nach Strich und Faden verwöhnen lassen: 5-Sterne-Wildnis mit allem Komfort und Komnach! Bei Lust und Laune (und dem nötigen Geldbeutel) kann man sich auch mit dem hauseigenen Flugzeug zum Angelrevier seiner Wahl fliegen lassen, am Abend den selbstgefangenen Lachs servieren lassen (notfalls gibt's eben einen aus der Gefriertruhe). Wirklich alles vom Feinsten - und damit nix für mich! Selbst am Feiertag nicht!
Lieber raus auf den Highway und schauen, ob die Verkehrsschilder auch zu Recht stehen. Die, die vor den Bisons warnen. Und? Sie haben nicht zu viel versprochen: kurz vor den heißen Quellen grast eine Herde von fast dreißig Tieren friedlich neben der Straße. Lässt sich selbst durch ein halbes Dutzend neugieriger Touris nicht stören. Und die Einheimischen brausen eh vorbei, als ob die massigen Tiere gar nicht da wären. Was fatale Folgen haben kann, denn so ein Bisonbulle bringt schon mal eine Tonne auf die Waage - was eine mächtige Beule am Auto verursacht! (Ein einheimischer Straßenbauingenieur erzählt uns, dass die meisten Toten auf dem Alaska Highway durch Unfälle mit Bisons zu beklagen sind (vor allem nachts.) Also lieber langsam (zu sehen gibt's genug)! Und nachts fahren habe ich mir schon auf der allerersten Tour abgewöhnt: nicht nur Bisons sind schwarz wie die Nacht!
Nun sitze ich in den heißen Quellen, schwitze vor mich hin, werde langsam gar und lasse die letzten Wochen Revue passieren: wirklich eine interessante Etappe, von Calgary über die südlichen Rocky Mountains, durch die beiden ach so hochgelobten Nationalparks und quer durch die nördlichen Rockies, die den südlichen (die mit den Nationalparks) in Nichts nachstehen. Fast würde ich sagen, dass es in den nördlichen schöner ist - weil weniger überlaufen - und man ähnlich viel unternehmen kann!
Calgary ist die schönste Stadt meiner bisherigen Canada-Tour. Obwohl sie nicht 'mal Hauptstadt der Provinz ist (das ist Edmonton) steckt sie jede andere Stadt Canadas in die Tasche. Ihr wisst, welch ein Großstadt-Hasser ich bin, aber diese Stadt hat mich bezaubert. Zum einen die Architektur der Innenstadt (Downtown), vor allem aber ihre Menschen! (Nur der Campingplatz nicht - aber das ist ein anderes Thema!) Wo immer ich unterwegs bin, ob mit der Lady Grey auf Parkplatzsuche, ob in der Schlange an der Supermarktkasse, am Ticketschalter für die 'Stampede', auf der Parade selbst oder sonstwo: in weniger als zwei Minuten bin ich im Gespräch mit wildfremden Menschen, die natürlich nach dem Woher und Wohin fragen und die auch schon irgendwann in Deutschland oder selbst in München waren. Es ist wirklich eine interessante und kunterbunte Mischung aller Hautfarben und Nationalitäten! Interessiert und offen. Sogar Neuem gegenüber. Nicht dass die Menschen im Osten Canadas verschlossen wären, aber ein derart herzliches "Willkommen" habe ich selten erlebt! Von der ersten Minute an fühle ich mich wohl und irgendwie 'zu Hause'.
Die Downtown ist übersichtlich und kann gut zu Fuß erkundet werden. Wem das immer noch zu weit ist, kann den CTrain - eine Art Trambahn - nutzen, der in der Innenstadt kostenlos verkehrt. Die 8th Avenue (O-W) ist zudem Fußgängerzone, gespickt mit Shopping-Centern und Geschäften aller führenden Marken. Dabei wandelt man immer inmitten einer Schlucht aus Hochhäusern. Im Gegensatz zu Winnipeg oder Regina haben die Wolkenkratzer hier allerdings Stil, um nicht zu sagen Klasse. An jeder Ecke entdeckt man neue Spiegelbilder und die himmelhohen Glasfassaden nehmen den Schluchten jede Enge. Dazwischen kleine Parks und Gärten, Open-Air-Theater und die passende Kunst.
Das i-Tüpfelchen bildet der Fluss, der Bow-River, der die Innenstadt im Norden umfließt und Platz für Parks, Radwege und Open-Air-Aktivitäten bietet. Sonnenhungrige tummeln sich am Flussufer oder lassen sich auf Gummibooten mitten durch die Stadt treiben.
Es ist kaum zu glauben, dass der friedliche türkisgrüne Fluss vor ziemlich genau einem Jahr (am 21.Juni 2013) die komplette Innenstadt in einen schmutzig braunen See verwandelte, in dem man bis zur Hüfte im schlammigen Wasser stand. Erschütternde Bilder, wie ich sie direkt vor meiner Abreise aus dem Isar- und Donau- und Elbtal kenne, kommen mir in den Sinn. Ich kann gut nachempfinden, was die Menschen hier durchgemacht haben, die ein derartiges Hochwasser nicht einmal aus den Erzählungen ihrer Großeltern kennen. Inzwischen blitzt die Stadt aber wieder makellos und kurz vor der Stampede, dem riesigen Volksfest, schwingen noch ein paar städtische Angestellte den Pinsel, um die letzten Roststellen zu beseitigen.
Dieses Jahr - so höre ich im Radio - hat es wettertechnisch den Norden Manitobas und Saskatchewans schwer erwischt, wo seit Wochen große Landesteile nur noch aus der Luft versorgt werden können. Im Unterschied zur Millionenstadt Calgary sind dort 'nur' ein paar Tausend Menschen betroffen, die aber genauso ihr Hab und Gut verloren haben - und oftmals auch ihre Lebensgrundlage. Damals wie heute wurde der Notstand ausgerufen und die Armee hilft, wo sie kann. Vorbildlich ist und bleibt auch der Zusammenhalt in der Community, in der Gemeinschaft, die in anglophonen Ländern einen weit höheren Stellenwert hat als etwa in Deutschland!
Derzeit scheint die Sonne bei 20 bis 28 Grad, im Winter aber wird es saukalt (ich kann's nicht anders sagen). Damit die Kunden dann beim Einkaufen keine kalten Füße bekommen, sind fast alle Hochhäuser und Shopping-Center - was meist aufs Gleiche hinausläuft - mit sogenannten Walkways verbunden, überdachten und klimatisierten Brücken. Da kann man auf 15 Fuß Höhe quer durch die ganze Innenstadt schlendern, ohne einen einzigen Fuß auf die Straße zu setzen! Dass man am anderen Ende der Stadt dann mehrere Dollar weniger auf dem Konto hat, liegt dabei wohl in der Natur der Sache! Dass man dabei auch von einem Food-Court in den nächsten stolpert, ist vermutlich auch nicht unbeabsichtigt, allerdings eher lästig - und möglicherweise für den teilweise gewaltigen Leibesumfang mancher Calgarianer verantwortlich.
Um den Passanten trotzdem ein bisschen Grün bieten zu können (steigert das auch die Kauflust direkt? Oder nur die Verweildauer?) hat man im Innern Gärten angelegt, allen voran den tropischen Devonian Garden, der sich über zwei volle Etagen erstreckt. Im Stillen erwarte ich, das mir zwischen all den Palmen, Farnen und üppig grünen Wänden plötzlich ein zähnestarrender Dinosaurier über den Weg springt. Meist sind's aber nur ungefährliche kameraschwingende Touristen oder schlauchbewehrte Gärtner, die die ganze Pracht am Wachsen und Blühen halten.
Ihr seht, die Stadt hat's mir ganz schön angetan! Wenn irgendwann einmal die Frage aufkommen sollte,
wo ich sesshaft werden könnte, steht Calgary ziemlich weit oben auf der Liste. Wenn nur der bitterkalte Winter nicht wäre!
Ach ja, dann gibt's in Calgary noch die Stampede. 'Das weltgrößte Outdoor-Festival' wie es in der Werbung so schön heißt. So wie München das größte Bierfestival der Welt hat! Vergleichbar sind die beiden allemal! Frische Luft, teure Achterbahn mit Loopings, riesige Zelte und was zum Beißen gibt's hier wie dort. Bier allerdings gibt's auf der Stampede keines! No way! Dafür Sport für die harten Jungs. Rodeo nämlich! Jeden Nachmittag messen sich die besten Cowboys Nordamerikas (und ein paar wenige Cowgirls) und ihre Pferde mit ihresgleichen. Wie bei der Fußball-WM geht das über mehrere Qualifikationsstufen. Ein 'Kampf' allerdings dauert keine neunzig Minuten mit Verlängerung, sondern allenfalls ein paar Sekunden. Im Höchstfall dreißig, wenn das Tier seinen Reiter so lange sitzen lässt (wobei 'Sitzen' nicht ganz der richtige Ausdruck ist).
Gekämpft wird in mehreren Disziplinen (wobei jede Disziplin ihre eigene Wertung hat) und ein Champion selten in mehreren Disziplinen antritt:
- Saddle Bronc Riding: Reiten eines bockigen Pferdes mit einem speziellen Sattel;
- Bareback Riding: das gleiche, aber ohne Sattel;
- Bull Riding: wie Bareback Riding, aber auf einem bockigen Ochsen und mit einer Hand;
- Calf Roping: Einfangen eines Kalbs mit dem Lasso und Fesseln der Füße;
- Steer Wrestling: Umwerfen eines Stiers mit den bloßen Händen.
Auf den ersten Blick schaut das alles arg martialisch und tierquälerisch aus. Auf den zweiten Blick ist es eher Cowboyquälerei. Haben sich die Pferde oder Bullen erst einmal ihres Reiters entledigt (meist nach ein paar Sekunden) traben sie friedlich aus der Arena. Auch die Kälber und Stiere werden gleich wieder befreit und trotten ohne Blessuren hinaus. Was man von den Cowboys nicht immer sagen kann - trotz jeder Menge Protektoren, die sie inzwischen tragen müssen. Obendrein gibt's noch Haltungsnoten von den Schiedsrichtern, es heißt also nicht nur 'Obenbleiben', sondern 'Obenbleiben mit Stil'!
Hat der Cowboy seine Lektionen gelernt - und die zugehörige Portion Glück - darf er am Sonntagabend als Sieger der Stampede nach Hause reiten, in den Satteltaschen ein Preisgeld von weit über zwei Millionen Dollar! Selbst wenn man Training, Transport und ein paar Armbrüche mit einkalkuliert, ein recht beachtlicher Stundenlohn.
Abends gibt's noch den Chuckwaggon Race, ein Formel-1-Rennen mit vier PS. Hier wie da gewinnt derjenige mit den besten Pferden und der besten Taktik. Im Spritverbrauch liegen die Chuckwaggon aber deutlich niedriger, so bei vier Sack Hafer und sechs Ballen Stroh pro Tag!
Neben schnellen und geschickten Cowboys gibt's auf der Stampede jede Menge weiterer Attraktionen, die kleingedruckt ein großes dickes Programmheft füllen. Von Auftritten berühmter (und weniger bekannter) Country-und-Western-Sänger über Ponyreiten für die Kleinen und Reiten auf dem (mechanischen) Bullen für die Großen gibt vor allem drei Dinge: Essen, Essen, Essen. Die bekannten Verdächtigen wie Burger in allen Variationen natürlich, daneben Würste, Steaks, Maiskolben, Fries (Pommes Frites) und so ziemlich alles, was Kalorien beinhaltet. Und das bitte in Mengen! In großen Mengen!
Zwischendrin kann der geneigte Besucher ein hässliches Kuscheltier durch Ballwurf erwerben, ein Haus an der Küste in der Lotterie gewinnen, einen Whirlpool für den Garten oder den obligaten Cowboyhut erwerben, ohne den keiner (außer einem) das Gelände verlässt. Oder schnell einen Happen essen. Ach ja, das hatten wir schon!
Der geneigte Besucher kann sich jedoch auch ins Indian Village begeben, wo die verschiedenen Indianergruppen (heute sind die Sioux dran) einen Blick in ihre Tipis erlauben, ihre Kriegs- und Freudentänze aufführen und einen Blick in ihr Alltagsleben erlauben. Ganz ohne die übliche Scheu vor der Kamera. Ein farbenfrohes und interessantes Spektakel, mit Abstand das Highlight meiner Stampede.
Wie das Oktoberfest mit dem Einzug der Wiesnwirte eröffnet wird, gibt's auch zur Stampede den passenden Umzug durch die Straßen der Stadt. Der findet am Freitag vor Beginn des Rodeos statt. Und schon am Donnerstagabend stellen die Calgarianer ihre Campingstühle an den Straßenrand, um sich ihren Platz zu reservieren. Schlimmer als die Deutschen auf Malle! Bleibt für alle anderen nur noch die zweite Reihe!
Wie bei den meisten Paraden dieser Art zeigt sich jeder, der Rang und Namen hat, dem Publikum. Egal, ob Bürgermeister, Trachtenverein oder Musikkapelle (von den letzten beiden gibt's hier offenbar besonders viele!) Auch die meisten der zahlreichen Volksgruppen (in Calgary wohnen Menschen aus 140 Nationen) möchten sich präsentieren, Los und Jury picken nur die besten heraus. Trotzdem sind's noch 'ne ganze Menge!
Nachdem sich die Stampede ja um Pferde, Cowboys und das Leben im Wilden Westen dreht, steigen all die Einwohner, die keinen Campingstuhl haben, aufs Pferd und reiten in der Parade mit. Daheimbleiben mag heute niemand! Mich wundert nur, wie viele Menschen hier tatsächlich Pferd und Sattel haben, ja sogar reiten können. Das muss ihnen irgendwie im Blut liegen! Fast drei Stunden lang paradiert eine Gruppe nach der anderen an den Zuschauern der sechs Kilometer langen Paradestrecke vorbei. Für die Teilnehmer sicher nicht weniger anstrengend als für die Zuschauer!
Gegen Ende des Zugs rollen schließlich die Mitarbeiter der städtischen Bus- und Bahnbetriebe, der Müllabfuhr, der Straßenkehrerei, der Feuerwehr, ja selbst zwei Panzer der Armee an den Zuschauern vorbei. Und die bedanken sich für offenbar gut geleistete Dienste mit frenetischem Beifall. Ich find das toll, dass diesen Menschen auch mal gedankt wird!
Ihr seht, während der Tage in Calgary war auch ich fleißig, jeden Tag gab's irgendwo etwas Interessantes zu sehen! Und zu fotografieren. Ich bin so frei und gönne mir dafür ein paar Tage Belohnung in den Bergen der Rocky Mountains. Die sind keine Fahrstunde entfernt und bei schönem Wetter kann ich sie schon sehen.
Das Ergebnis von so viel Fleiß findet ihr rechts ...
Krasser könnte der Gegensatz kaum sein: nach einer knappen Woche im schönen Calgary rolle ich am Dienstagmittag in die Rocky Mountains, die schon von Calgary aus am Horizont locken. Gerade mal 130 Kilometer sind es bis zum ersten grandiosen Nachtplatz unterhalb des Mount Lougheed. Am nächsten Tag ist Wandertag, doch die Aussicht auf die Bergriesen hält sich in Grenzen, solange man unterhalb der Baumgrenze läuft. Und Wege auf die Gipfel hinauf gibt's schon gar nicht, alle Trails halten sich im Tal. Nun ja, die Bewohner hatten eher den Drang nach neuen Bibern als nach neuen Gipfeln!
Von hier ist es auch nicht mehr weit bis Banff, das dem ältesten Nationalpark Canadas seinen Namen gab. Dessen Hotel Fairmont Banff Springs ist das nobelste und teuerste im ganzen Westen Canadas. Kein Ort, um die Reisekasse zu schonen! Obendrein keiner, um sich wohl zu fühlen! Dann schon lieber 'raufsteigen auf den Tunnel Mountain, von dem aus man das Städtchen und die umliegenden Täler prima überblicken kann! Der gleichnamige Campground ist auch eine gute Basis für weitere Touren auf Schusters Rappen - wenn man schon mal auf einen Campground gehen muss, wie hier im Nationalpark!
Fünfzig Kilometer weiter nördlich liegt Lake Louise, so etwas wie 'Sankt Moritz in den Rockies': überlaufen, versnobt und völlig überteuert! Trotz lockender Wandertouren und fotogen gelegener Seen heißt es: Campground anderswo suchen und anderntags den Icefield Parkway langrollen, der eindrucksvoll zu den beiden höchsten Pässen der Rockies führt. Gerade mal 2033m und 2020m über dem Meer. Da hätte ich mehr erwartet! Zumindest was die Höhe angeht. Auch was richtige Serpentinen angeht, denn so etwas ist hier völlig unbekannt! Im gemächlichen Auf und Ab geht's auf einer breiten, gut ausgebauten Straße durch eine wirklich grandiose Landschaft. Gut, dass man jederzeit auf dem Standstreifen anhalten und die Eindrücke auf Celluloid resp. Speicherkarte bannen kann. (Sorry, aber da müsst ihr jetzt durch!)
Oben am Columbia Icefield ist die Hölle los. Zunehmendes Verkehrsaufkommen und kurze Staus hatten es schon angedeutet: die Menschenmassen hier oben gehen in die Tausende! Kein Wunder, es ist Hauptreisezeit, strahlendes Sommerwetter und obendrein noch Wochenende. Alles was ein Auto hat ist unterwegs, dazu (gezählte) 52 Busse voller Japaner und Chinesen, und (geschätzte) 150 (Leih-)Wohnmobile voller Deutscher, Schweizer und US-Amerikaner. Wo wollen die alle hin? Die meisten wollen auf den Gletscher, auf dem Spezialbusse mit riesigen Niederdruckreifen fahren, um die Hundertschaften schnell (und ohne Anstrengung) zum spaltenübersäten Gletscherbruch zu karren. Dort haben sie fünf Minuten Zeit, ihre Bilder zu schießen, bevor es zurück auf festen Grund geht. Der nächste Bus wartet schon! Ein wenig interessantes und extrem teures Vergnügen!
Gut, dass man den Gletscher auch zu Fuß erkunden kann, wenngleich unübersehbare Warntafeln und Absperrungen vor den Gefahren einer "Begehung" warnen.
Das riesige Columbia Icefield selbst bekommt man weder mit dem Bus noch zu Fuß zu Gesicht, es verbirgt sich - viele Hundert Meter dick - hinter den umliegenden Bergriesen. Zu Gesicht bekommt man allenfalls seine Gletscherzungen, die sich zwischen den steilen Bergflanken in die Tiefe schieben. Das Icefield ist einer der markantesten Punkte der Rockies, speist es doch gleichzeitig drei Flußsysteme, die sich in drei unterschiedliche Ozeane ergießen:
- den Athabasca River, der nach 4200km als Mackenzie River ins Polarmeer strömt;
- den Columbia River, der nach 2000km in den Pazifik mündet;
- den North Saskatchewan River, der sich nach 2500km in die Hudson Bay (Atlantik) ergießt.
Ein wahrhaft imposanter Flecken Erde! Für uns ein Höhepunkt der ganz besonderen Art. Denn von nun an geht's für die Lady Grey und mich nur noch abwärts. Wir folgen einfach dem Athabasca River, bis wir in ein paar Wochen unten oben am Polarmeer stehen. Denn das ist unser nächstes Ziel! So ganz wird sich das nicht machen lassen, da die letzten fünf Kilometer am Polarmeer (bei Prudhoe Bay) Privateigentum und für Reisende gesperrt sind. Aber wir werden schon ein markantes Plätzchen finden, wo die nächste Groß-Etappe, die Nord-Süd-Durchquerung Amerikas entlang der Panamericana sinnvoll starten kann.
Zunächst geht's nur noch ein paar Kilometer weiter: nach Jasper und den gleichnamigen Nationalpark, den zweitältesten Park Canadas. Und den ausgebuchtesten! Dank Wochenende, Sonnenschein und Hauptreisezeit gibt's nur noch einen Ausweichcampingplatz, wo ich mir mit ein paar Hundert anderen "Übriggebliebenen" eine steinige Wiese direkt an der vielbefahrenen Bahnlinie teile. Natürlich auch das gegen Bezahlung!
Beide Nationalparks sind wirklich grandios. Keine Frage! Höchst eindrucksvolle, schon fast atemberaubende Landschaften, türkisfarbene Flüsse und Hunderte glasklarer Seen. Dazu eine Infrastruktur vom Feinsten: Aussichtspunkte mit Erklärungen, Wanderwege gut ausgeschildert, Campingplätze mit allem, was nötig ist. Man kann sich hier wirklich wohl fühlen!
Und soooo viel unternehmen! Von der Wildwassertour über geführte Wanderungen, Bootstouren auf den Flüssen und Seen, auf Pferderücken durch die lauschigen Täler, zum Klettern in die Felsregionen. Und, und, und ... Doch ohne Führer, ohne Bezahlung geht - abseits der arg ausgetretenen Touristenpfade - so gut wie nix. Selbst für die einfache Rucksacktour mit Übernachtung irgendwo im Zelt braucht's ein Backcountry Permit, eine Genehmigung, die um diese Jahreszeit kaum zu ergattern ist! Die Anzahl der Permits ist streng begrenzt, um (a) die Touristen vor sich selber zu schützen (man muss sich ab- und zurückmelden), und (b) zum Schutz der Flora und Fauna. Auf der einen Seite find ich's gut, dass die Zahl der Individualtouristen in der Wildnis geregelt wird (was sonst passiert, sehen wir ja in den Alpen), auf der anderen Seite ist's natürlich ärgerlich, wenn man selbst von solchen Auflagen betroffen ist und nicht raus in die Wildnis darf.
Vielleicht sollte ich einfach zu einer anderen Zeit nochmal wiederkommen? Im September, nach den Schulferien ist hier sicher deutlich weniger los!
Anstatt auf der Steinwiese an der Bahn vertreibe ich mir die Zeit lieber oben am Lake Maligne, dem landschaftlichen und touristischen Höhepunkt des Jasper Nationalparks. Die Bergkulisse rund um den wirklich idyllisch gelegenen See ist schon prächtig, die Preise für die einstündige Fahrt mit dem Elektroboot zu einer - angeblich besonders schönen - Insel allerdings auch: 64 CAD, umgerechnet 45 Euronen. Ihr könnt Euch sicher denken, wie oft ich dieses Schnäppchen benutzt habe.
So schön die Berge sind, so einladend die Wanderwege, beides verliert viel von seinem Reiz, wenn man sie nur eingezwängt zwischen Hunderten Gleichgesinnter genießen kann. Schlangestehen am Gipfel war schon zu Hause nicht mein Ding! Also lieber ab in den Norden! Alaska und das Polarmeer sind noch weit!
Tragen die Straßen - oder Highways wie sie hier genannt werden - im Süden meist nur Nummern, so erhalten sie hier oben fast ausschließlich Namen - die kann man sich auch besser merken. So führt der Yellowhead Highway über den gleichnamigen Pass (1066m) aus den Nationalparks gen Nordwesten, durch ein breites Tal nach Prince George, zur letzten Möglichkeit, die Vorräte noch einmal günstig aufzubunkern. Unterwegs gibt's natürlich den obligaten Zwischenstopp am Mount Robson (3954m), dem höchsten Berg der kanadischen Rocky Mountains - ein imposanter Felsklotz!
Verlässt man den Höhenzug der Rocky Mountains, erlebt man bald ein völlig neues Fahrgefühl. Sind die Entfernungen in den Rockies noch halbwegs überschaubar und mit europäischen Verhältnissen vergleichbar, so werden sie weiter nördlich gewaltig. Zweihundert Kilometer, dreihundert Kilometer, fünfhundert Kilometer bis zur nächsten Ortschaft bilden jetzt eher die Regel als die Ausnahme. Und je größer die Entfernungen, desto kleiner werden die Ortschaften! Die Nester bestehen gerade mal aus der Tankstelle, dem Gemischtwarenladen und dem Motel. Mittendrin ein riesiger Parkplatz, mit viel Glück noch ein Fast-Food-Laden. Zwischen den Ortschaften gibt's vor allem von einem viel zu sehen: Landschaft!
Die Straßen hier verlaufen nicht so schnurgerade und mit dem Lineal gezogen wie drüben in den Präriestaaten. Richtig viel Abwechslung bieten aber auch sie nicht! "Relaxen und Genießen" geht hier trotzdem nicht! Der Verkehr ist trotz riesiger Entfernungen enorm hoch. Ich will nicht jammern, im Gegenteil, langsam beginne ich, mich hier heimisch zu fühlen. Aber im Vergleich zu ähnlich langen Wüstenstrecken (wie in Afrika oder Australien) bleibt die Landschaft hier bislang nur zweiter Sieger! Sicher liegen die schönsten Streckenabschnitte aber noch vor mir! Lassen wir uns überraschen!
Nördlich von Prince George führt der John Hart Highway wieder über den Kamm der Rockies nach Osten. Diesmal beträgt die Passhöhe ganze 869m (Pine Pass)! Richtige Pässe wie in den Alpen? Fehlanzeige! Schließlich müssen auch die riesigen Sattelzüge die Pässe bewältigen, obendrein im Sommer wie im Winter! Sonst liegt die Versorgung des Nordens mit seinen Gas- und Ölfeldern für ein halbes Jahr lang lahm!
Gleich hinter der östlichen Abfahrt vom Pine Pass liegt Chetwynd, die Hauptstadt der Kettensägen-Schnitzer. Aus riesigen Baumstämmen schaffen Sie - nur mit Axt und Kettensäge - ganz ansehnliche, fast schon filigrane Kunstwerke. Über siebzig dieser Skulpturen findet man verstreut über das Stadtgebiet. Daneben eine riesige Papierfabrik. Vielleicht um aus missglückten Kunstwerken doch noch was Brauchbares zu machen? Nun ja, in den endlosen Wäldern rings um Chetwynd gibt's genug Nachschub - für Künstler und Papierfabrik.
Vielleicht wird's die nächsten Jahre aber doch knapp mit dem Holz. Ein paar Kilometer nördlich der Stadt tobt seit Tagen ein Buschfeuer und vernichtet den Rohstoff gleich hektarweise. Bei Temperaturen um die dreißig Grad sind Buschfeuer offenbar keine Seltenheit, inzwischen das zweite, das ich 'hautnah' miterleben darf. Die dicken Rauchschwaden tauchen die ganze Stadt in milchig trübes Licht - und zaubern einen spektakulären Sonnenuntergang an den Himmel, als ich abends auf dem idyllischen Camp am Moberly Lake einchecke. Der Ranger weist mich noch darauf hin, dass er mich notfalls mitten in der Nacht ausquartieren muss, falls das Feuer näherkommt. Trotzdem fühle ich mich sicherer als irgendwo draußen auf einem abgelegenen Parkplatz, wo ich selber Feuerwache schieben müsste und sicher kein Auge zutun könnte!
Am nächsten Morgen ist von Feuer nichts mehr zu bemerken und die Sonne lacht wieder vom blauen Himmel. Obwohl weit und breit weder Rauch noch Flammen zu sehen sind, wird das Kraftwerk des WAC Bennet Staudamms noch in der Frühe evakuiert. Die erhoffte Besichtigung des Kraftwerks fällt diesmal nicht ins Wasser, sondern geht sprichwörtlich in Rauch auf. Also schaue ich mich auf eigene Faust ein wenig um - die Security hat das Gelände längst verlassen und ich kann tun und lassen, was ich will! Ulkig!
Das Kraftwerk ist das größte in kanadischen Westen und liefert dreißig Prozent des Stroms für British Columbia. Die 2800MW der zehn Maschinen werden über drei 500kV-Freileitungen gen Süden transportiert, wo die Hauptabnehmer sitzen. Eine imposante Anlage, aber nach Schildern meiner alten Firma suche ich vergeblich, alles ist Proudly made in Canada! Der Peace River, dessen Wasser hier angestaut wird, verläuft auch unterhalb des Staudamms in einem recht engen Tal. Findige Politiker wollen hier gleich einen weiteren Damm bauen lassen, wogegen sich die Einheimischen seit Jahren vehement wehren - bislang erfolgreich. Es wäre wirklich schade um diese herrliche Landschaft!
Vom Staudamm aus sind es nur noch achtzig Kilometer bis zum legendären Alaska Highway, der über zweitausend Kilometer langen Schlagader des nordwestlichen Canadas. Im zweiten Weltkrieg angelegt, als die USA fürchteten, dass Alaska von den Japanern angegriffen wird, ist die Straße nun die wichtigste Verbindung in den Norden Kanadas. Dorthin, wo die ertragreichen Öl- und Gasvorkommen liegen. Von anderen kostbaren Rohstoffen (wie Gold) ganz zu schweigen. Dementsprechend viel Verkehr herrscht auf der nach wie vor zweispurigen Straße. Trucks, Roadtrains, fahrbare Wohncontainer, Tanker, Sattelschlepper, Wohnmobile jeder Art und Größe, die beliebten Wohnauflieger der Pickups, Kranwagen, alles rollt gen Norden! Dazu muss die Straße allenthalben repariert und ausgebaut werden. Staus und lange Stopps an Baustellen gehören bald zur Routine. Eine gute Gelegenheit für ein Schwätzchen zwischendurch und etwas Abwechslung zur Fahrerei!
Hinter Fort Nelson zweigt vom Alaska Highway der Liard Highway ab, eine zweite Route in den Hohen Norden. Hier lässt der Verkehr auch deutlich nach, leider wird auch die Straße erheblich schmäler. Kommt einem einer dieser Roadtrains mit zwei langen Anhängern entgegen, heißt's höllisch aufpassen und das Lenkrad gut festhalten. Allzu schnell kann man hier im Graben landen! Und das Thema brauche ich kein zweites Mal! Zur Abwechslung gibt's nun auch landschaftlich wieder einige Bonbons, der Highway führt in stetem Auf und Ab entlang der nördlichen Ausläufer der Rocky Mountains. Die Berge sind hier nicht mehr so schroff und abweisend wie im Süden, den einen oder anderen Gipfel kann man sogar erklimmen! Ganz ohne Platzkarte und Schlangestehen! Dazu traut sich das Wild wieder öfter an die Straße. Ob scheue Rentiere, Schwarzbären, Rotwild oder Bergschafe, kaum einer hat Angst vor den heranbrausenden Lastern, Pickups oder neugierigen Touristen.
Selbst die früher fast ausgerotteten Bison laufen hier wieder in beträchtlichen Herden herum. Frei und ganz ohne Zaun! Also heißt's aufpassen! Aber bis zu den heißen Quellen des Liard River ist's nicht mehr weit, das sollte zu schaffen sein!
In den nächsten Tagen werde ich einen kleinen Abstecher vom Alaska Highway machen, um auf dem Dempster Highway, weiter im Norden, ein paar Kilometer abzukürzen und wahre Einsamkeit zu erleben. Zudem kann ich so vermeiden, auf der Rückfahrt über fünfhundert Kilometer schon bekannter Strecke zu fahren. Ja und danach ist's auch gar nicht mehr weit bis Alaska!